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Inspiration Nr. 3 - 2022

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Rubrik Thema Dani Arnold

Rubrik Thema Dani Arnold Gipfeltreffen ‹1› Bergsteigen mit Seil ist nicht ohne Restrisiko. Beim Solo-Klettern gibt es keinen Beschiss. Wenn ich zu schwach bin oder etwas nicht gut genug beherrsche, kann ich keine Schlinge einhängen und mich hochziehen. Wie muss man sich das vorstellen – hast du eine mentale Checkliste, bevor du bei einer Wand einsteigst? Es ist ein Ablauf. Denise (Anm. d. Red.: Danis Frau) weiss lange davor, dass etwas in meinem Kopf ist. In der Regel klettere ich die Route mehrmals durch. Danach versuche ich einen kleinen Testlauf zu machen – immer an einem anderen Berg und in einer anderen Schwierigkeit. Ich muss mir das Selbstvertrauen wieder abholen und mir selber zeigen, dass es geht. Zusammenfassend ist es der Bauch, der Ja oder Nein sagt. Sobald ich den ersten Schritt in die Wand mache, fällt eine grosse Last ab. Ab dann nigen, die vom Berg zurückkommen und sich auf die Schulter klopfen. Wenn man aber ganz ehrlich ist, ist meist nicht alles top gelaufen. All die Entscheidungen, die das Leben verändern können, sie formen das Bauchgefühl. Wie gehst du mit den Faktoren um, die sich deiner Kontrolle entziehen – beispielsweise Steinschlag am Berg? Ich akzeptiere es. Ich kann es sowieso nicht ändern. Es gibt irgendwo auch noch Glück oder Pech im Leben. Jeder Mensch muss für sich selber entscheiden, ob es ihm das wert ist oder nicht. Thema Emotionen – wie fühlt sich das an, wenn du nach einer erfolgreichen Solo-Speed-Begehung auf dem Gipfel stehst? Es ist nicht so aussergewöhnlich, wie man sich das vielleicht vorstellt. Es ist extrem sachlich. Zuerst ist man einfach Tempowechsel – wie hat sich der Blick auf die Welt geändert mit der Geburt eurer Tochter? Es sagen viele, dass es gewisse Sachen relativiert. Was mich beispielsweise früher sehr aufgeregt hat, ist mir heute gar nicht mehr so wichtig. Es ist jemand mehr da und man hat Freude, dass man nun eine Familie ist. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass ich jetzt nichts mehr machen darf. Wenn ich jetzt mein Leben auf den Kopf stellen würde, hätte ich das Gefühl, ich hätte vorher alles falsch gemacht. Mein Risikobewusstsein hat sich verändert. Aber es ist nicht nur die Geburt der Tochter, sondern vor allem die Erfahrung, die dazu beigetragen hat. Unfälle und Situationen, in denen ich mich heute anders verhalten würde. Hat es Momente gegeben, in denen du dein Tun hinterfragt hast? Ja, beim Unfall vom Hansjörg Auer, David Lama und Jess Roskelley. Ich war in der Jungfrau-Region mit einem Gast auf Skitour, als ich erfahren habe, dass sie vermisst werden. Das hat mich fertig gemacht. Man weiss, dass das einem selbst passieren könnte – das prägt auf jeden Fall. ‹1› Mit seinem Durchstieg der Matterhorn-Nordwand in einer Stunde und 46 Minuten unterbietet Dani Arnold 2015 den bisherigen Rekord von Ueli Steck um zehn Minuten. ‹2› Im September 2019 kletterte Dani Arnold in 46 Minuten und 30 Sekunden durch die 500 Meter lange Comici-Dimai-Route an der Grossen Zinne, ebenfalls ein neuer Rekord. «All die Entscheidungen, die das Leben verändern können, sie formen das Bauchgefühl.» der anderen Seite – bei einer Geschwindigkeitsmessung in der Eigernordwand müssen die Verhältnisse ziemlich perfekt sein. Es gibt Jahre, in denen es nie gute Verhältnisse hat. Alpinist stürzt, Alpinist ist tot – das versteht auch jemand, der keine Ahnung von Alpinismus hat. Ist das der Grund, weshalb Solo-Projekte so viel Aufmerksamkeit erhalten? Ja. In der Gesellschaft versuchen wir, immer mehr Sicherheit zu generieren. Beim Solo-Klettern dreht man das um, lässt bewusst das Sicherheitsmaterial zurück. Das ist ein grosses Bekenntnis zu seinen eigenen Fähigkeiten. Es ist nicht etwas, was man macht, um mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Entweder hast du das in dir drin oder nicht. Du kannst sehr schwer diese mentale Stärke bekommen, um in einer solchen Situation alles unter Kontrolle zu haben und gleichzeitig auch noch Freude zu haben. Fehler haben bei solchen Projekten keinen Platz. Wie gehst du damit um? Ich bin mir zu 100 Prozent bewusst, dass es ein Restrisiko gibt. Entweder man akzeptiert das oder lässt es sein. Man muss aber auch ehrlich sein – auch das Fotos: Christian Gisi, Franz Hinterbrandner ‹2› kann ich das machen, was ich gerne mache und gut kann. 80 Prozent sind die ganze Vorbereitung, 20 Prozent sind, wie ich dann die ganze Wand durchklettere. Thema Bauchgefühl: Kann man das trainieren? Ich glaube, ja. Die Erfahrung wächst, wenn man einen Mist gemacht hat und daraus lernt. Es ist wichtig, dass man extrem selbstkritisch ist. Es gibt diejenur froh, dass man oben ist, weil man die Uhr stoppen kann. An der Petit Dru war das sehr speziell. Ich hatte das Gefühl, dass ich zu langsam bin. Das hat mich sehr gestresst. Ich muss dazu noch erwähnen, dass ich nie auf die Uhr schaue. Was mir dann geholfen hat, ist, dass ich mir gesagt habe, ich kann nicht beeinflussen, was am Schluss rauskommt, was ich aber beeinflussen kann, ist das Hier und Jetzt. Dein Speedrekord am Eiger war auch der Anfang der Rivalität mit Ueli Steck – wie war eure Beziehung? Ueli Steck war ein Vorbild für mich. Er konnte vom Bergsport leben. Als ich im April 2011 seinen Rekord geschlagen habe, war es mir selber nicht so recht. Das Erste, was ich gemacht habe, war, ihm eine SMS zu schreiben. Ich wollte, dass er das von mir erfährt. Danach hat es ein wenig gekippt. Meine Leistung wurde infrage gestellt, es gab viel Kritik auch seitens Ueli Steck. Wir haben uns akzeptiert, aber wir haben eine andere Einstellung zum Bergsteigen gehabt. Wir sind auch nie miteinander geklettert. Wie war es, von seinem Tod zu erfahren? Ich war damals in Finale Ligure in den Kletterferien, als ich erfahren habe, dass er abgestürzt ist. Es war tragisch und zog mir auch den Teppich unter den Füssen weg. Ich konnte es im ersten Moment nicht glauben und wusste nicht, wie es bei mir weitergeht. Ein Moment, in dem man einmal mehr sein Tun hinterfragt. 50 51

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