GIPFELTREFFEN GIPFELTREFFEN SIMONE MORO 14. Januar 2005, Shishapangma: Erstmals seit 1988 (Lhotse) gelingt wieder eine Wintererstbesteigung eines 8000ers. «Ich bin so gar nicht der Meer-Typ.» Meine erste Expedition führte mich 1992 an den Mount Everest. Und schon meine zweite Expedition war eine Winterexpedition an den Aconcagua. Was unterscheidet denn Höhenbergsteigen im Winter von dem im Sommer? Der Winter ist kälter. Klar. Das ist natürlich eine Binsenweisheit. Der Winter ist nicht nur eine andere Jahreszeit, der Winter ist auch eine andere Welt. Im Winter bist du im Basislager isoliert. Keine anderen Gruppen, keine Trekker, keine Träger, keine Helikopter. Es gibt kein fliessendes Wasser. Schnee und Eis müssen geschmolzen werden. Und noch ein wichtiger Unterschied: Im Winter wartet man viele Wochen einfach nur. Du fühlst dich gut, der Himmel ist blau, das Wetter ist herrlich, es herrscht aber ein so starker Sturm, auch im Basislager, dass du den ganzen Winter über vielleicht nur ein einziges Wetterfenster für einen Gipfelversuch hast. Aber ganz so abgeschieden wie noch bei deinen ersten Expeditionen bist auch du heute im Winter nicht mehr. Das stimmt. Selbst wenn ich heute sagen würde, ich möchte nichts nach aussen geben, gibt es irgendwo jemanden, der mich erkennt, ein Selfie mit mir macht und das dann postet. Schon weiss es die ganze Welt. Aber nicht nur das: Am Manaslu musste ich im vergangenen Winter nicht einmal mehr Technik mitnehmen, um mit der Welt verbunden zu sein. Das Mobilfunknetz vom letzten Dorf reicht bis ins Basislager. Die moderne Technik erleichtert auch vieles. Du kannst selbst schauen, wie das Wetter wird, was ja im Winter ganz entscheidend ist. Da vertraue ich aber weiterhin auf Karl Gabl in Innsbruck. Aber natürlich ist auch das einfacher geworden. Karl schickt mir seine Prognosen jetzt per WhatsApp, früher haben wir telefoniert. Und da erfährst du dann, dass auf Gipfelniveau mit minus 40 Grad zu rechnen ist. Kann man sich auf solche Temperaturen eigentlich vorbereiten? Du kannst die Kälte nicht trainieren. Du kannst dich nur daran gewöhnen. Ich mache es, indem ich meist nur ein T-Shirt oder ein leichtes Fleece anhabe. Ich gehe aber nicht nackt joggen und springe auch nicht in kalte Flüsse, wenn du das meinst. Ich habe mit der Kälte schlichtweg kein Problem. Ich leide da auch nicht so sehr. Und wie bereitest du dich konditionell auf deine Expeditionen vor? FOTO: ARCHIV SIMONE MORO FOTO: MATTEO ZANGA Ich bin grundsätzlich jemand, der fit sein will. Und deshalb habe ich nie aufgehört zu trainieren. Ich laufe jeden Tag zwischen 15 und 20 Kilometer und mache jeden Tag Krafttraining, Klimmzüge und Liegestütz. Deshalb habe ich auch kein Problem, schwere Rucksäcke zu tragen. Und wie wichtig ist der Kopf bei deinen Unternehmungen? Höhenbergsteigen ist als solches schon eine besondere Herausforderung. Im Winter wird das durch die äusseren Umstände noch einmal potenziert? Der Kopf ist der Schlüssel. Ich habe erfolgreiche Höhenbergsteiger erlebt, die überhaupt nicht damit klargekommen sind, im Basislager zum Nichtstun verdammt zu sein. Ich dagegen kann gut damit umgehen. In diesem Winter am Manaslu ist es mir sogar passiert, dass ich anderthalb Monate mit einem einzigen Musikstück gelebt habe, weil ich nur das eine auf meinem Smartphone abgespeichert hatte. Mir war das nicht aufgefallen, weil ich sonst immer Spotify nutze. Es ging auch mit nur einem Song. Verrätst du uns, welches Stück? Das war «Four Dimensions» von Ludovico Enaudi. Aber was ich sagen wollte: Ich kann gut mit mir allein sein. Ich brauche nicht viele Leute um mich herum. Wahrscheinlich ist das auch der Grund, weshalb ich 19 Winterexpeditionen gemacht habe, so viele wie kein anderer. Du warst oft mit Bergsteigern aus dem früheren Ostblock unterwegs wie Anatoli Boukrejew, Piotr Morawski, Denis Urubko. Hat das Spuren hinterlassen? Zweifellos. Das sind andere Leute. Sie sind einfach gewohnt, mehr zu leiden. Besonders ausserhalb der Städte lebten die zumindest früher ein ganz anderes, ursprüngliches Leben. Die hatten da einen beheizten Raum im Haus und sonst kalte Zimmer. Damit sind die aufgewachsen. Am Berg kommen sie mit einem Sandwich pro Tag aus. Und vor allem: Sie können Lösungen finden. Wenn bei uns in Europa ein Rucksack kaputt ist, dann kauft man sich einen neuen. Der Russe überlegt, wie er den reparieren kann. Im Winter musst du immer improvisieren. Das können bei uns nur wenige. Mitte Januar waren es dann aber keine Polen oder Russen, es war ein Nepali-Team, das am K2 Geschichte geschrieben hat und dem die Wintererstbesteigung des mit 8611 Metern zweithöchsten Berges der Welt gelang. Das hat mich wirklich sehr gefreut. Ich bin so glücklich, dass sie es geschafft haben. Nepali haben in der Geschichte des Winterbergsteigens Seit 2009 ist Moro Hubschrauberpilot, er arbeitete u .a. für die Fluggesellschaft Fishtail Air in Nepal bei Transporten und Rettungseinsätzen. STECKBRIEF SIMONE MORO gefehlt. Dieser Erfolg steht ihnen zu und sie haben ihn sich auch verdient. Simone Moro und Nepal, da denkt man unweigerlich an das Frühjahr 2013. Ja, das war nicht so schön. Du hattest in gewisser Weise mit einen Anteil daran, dass Ueli Steck 2013 am Mount Everest fast gesteinigt worden wäre. In seinem Buch «Der nächste Schritt» erzählt Ueli über die fatalen Vorkommnisse in der Lhotse-Flanke, wo ihr mit Einheimischen aneinandergeraten seid. Ueli schrieb von «Todesängsten», die lange nachwirkten. Wir waren in Lebensgefahr. Ueli war wirklich schockiert. Ich hatte das nach 24 Stunden vergessen. Am Tag nach den Vorfällen habe ich im Basislager Simone Moro wird am 27. Oktober 1967 in Bergamo geboren. Die ersten Gipfelziele findet er in der Presanella und den Dolomiten, 1985 tritt er der italienischen Kletternationalmannschaft bei, deren Trainer er später wird. Er promoviert in Sportwissenschaften über «Alpinismus in extremen Höhen» (2003), ein Thema, das er seit 1992 auch aus der Praxis kennt. Am Fitz Roy trifft er 1996 Anatoli Boukrejew, mit dem die lang anhaltende Verbindung Moros zum russischen Alpinismus beginnt. Sein grosses Ziel, die polnische Ära des Winterbergsteigens aus den 1980er-Jahren neu zu begründen, gelingt ihm mit insgesamt vier 8000er-Erstbesteigungen zwischen dem 21. Dezember und dem 21. März. 48 INSPIRATION 03 / 2021 49
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