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Inspiration Nr. 2 - 2022

GIPFELTREFFEN BILLI

GIPFELTREFFEN BILLI BIERLING BILLI BIERLING Das ist nicht einfach. Manchmal ist es ein Zufall, und manchmal findet man sie gar nicht. Miss Hawley hat auch nicht alles aufgedeckt. Das indische Paar, das vor einigen Jahren behauptet hat, es sei auf dem Everest- Gipfel gewesen, was sich später als Lüge herausgestellt hat, wurde von einem meiner Kollegen interviewt. Er hat die Lüge nicht bemerkt, wie auch? Auf den ersten Blick sah das Gipfelfoto in Ordnung aus. Weil beispielsweise durch Vorträge mit dem Everest heute viel Geld verdient werden kann, ist es natürlich schon interessant zu wissen, ob einer wirklich erlebt hat, was er erzählt. Das ist der Unterschied zwischen Matterhorn und Everest. Haben auch Sie schon Betrugsfälle aufgespürt? Mir hat einer einmal ein Gipfelfoto vom Kangchenjunga präsentieren wollen und auf der Skibrille spiegelte sich der Gipfel im Hintergrund. Da hat man deutlich gesehen, dass der nicht oben war. Er ist im Jahr später noch einmal zurück an den Berg und leider auf dem Gipfel gestorben. Das ist tragisch und tut mir heute noch unendlich leid. Bierling im Flüchtlingslager Moria: «Mein grösstes Hobby sind die Menschen.» Werden die Schummler mehr? Die Leute haben schon immer geschummelt. Aber der Druck durch Sponsoren und die sozialen Medien ist natürlich gross. Jedoch bin ich der Meinung, dass die meisten Leute ehrlich sind. Denn wenn ich hinter jedem einen Betrüger oder eine Betrügerin vermuten müsste, dann könnte und möchte ich den Job nicht mehr machen. Ich selbst habe 2012 Miss Hawley persönlich kennengelernt und wurde von ihr befragt. Auf mich wirkte sie sehr kühl und abweisend. Muss man bei dieser Arbeit so distanziert sein oder können da auch Freundschaften mit Bergsteigern entstehen? Miss Hawley hatte sehr wenig Empathie. Ihr war egal, was jemand von ihr dachte. Ich bin das genaue Gegenteil. Ich habe sehr viel Empathie und durch meine Arbeit für die Himalayan Database haben sich sehr viele Freundschaften zu Bergsteigern und Bergsteigerinnen entwickelt. Gerlinde Kaltenbrunner zähle ich inzwischen zu meinen besten Freundinnen. Ueli Steck kannte ich auch sehr gut, ich bin heute noch mit seiner Frau Nicole befreundet. Und Sophie Lavaud ist über die Jahre ebenfalls eine gute Freundin geworden. Aber natürlich ist es schwieriger, Menschen, die einem nahestehen, sagen zu müssen, dass sie einen Gipfel nicht erreicht haben und deshalb ihre Expedition nicht als erfolgreich in der Datenbank gelistet wird. Das ging mir 2016 so mit einer schwedischen Bergsteigerin am Manaslu. Im vergangenen Herbst sorgte der Manaslu für Schlagzeilen. Drohnenaufnahmen zeigten zum ersten Mal die komplexe Gipfelsituation. Offenbar haben bisher die wenigsten den wirklichen Gipfel erreicht. Sie waren auch schon zweimal auf dem Manaslu. Was ist die Schwierigkeit dort? Ich war 2010 mit Sauerstoffmaske und 2011 ohne auf dem Gipfel. Man steht am Manaslu auf dem Grat und hat STECKBRIEF BILLI BIERLING Billi Bierling, geboren 1967 in Garmisch-Partenkirchen, ist Bergsteigerin und Journalistin. Im Auftrag der Humanitären Hilfe der Schweiz arbeitet sie für Hilfsprojekte auf der ganzen Welt. Als Managing Director setzt sie die Alpinismus-Chronik Himalayan Database fort, das Lebenswerk der Begründerin Elizabeth Hawley, steigt im Gegensatz zu ihr aber auch selbst auf hohe Berge. 2009 war Bierling die erste Deutsche, die über den Südsattel den Gipfel des Mount Everest erreichte und ins Tal zurückkehrte. Darüber hinaus stand Billi Bierling auf den Gipfeln von Manaslu (zweimal), Lhotse, Makalu, Cho Oyu und Broad Peak. das Gefühl, es geht nicht mehr weiter. Dort oben kann man sehr schlecht einschätzen, wie weit sich die Wechte noch erstreckt. Und dann sieht man die Drohnenaufnahmen, die im vergangenen Herbst ein australischer Bergsteiger gemacht hat, und sieht, dass es da doch weitergeht und sogar noch höher. Waren Sie auf dem tatsächlichen Gipfel? Nein. Wie ich das heute einschätzen kann, war ich beide Male nicht auf dem Punkt, der dieses Jahr von Mingma G und seinem Team erreicht wurde. Wie geht die Himalayan Database mit diesem Gipfelproblem am Manaslu um? Wir passen ab 2022 unsere Parameter an die topografische Realität an und akzeptieren dann nur noch den Hauptgipfel als Gipfel. Wer in Zukunft am Vorgipfel kehrtmacht, wird dann mit dem Hinweis «Vorgipfel» vermerkt. Welche bergsteigerische Leistung war denn für sie in letzter Zeit herausragend? Die Erstbegehung des Südostgrats an der Annapurna III im Herbst 2021. Was diese drei Ukrainer geleistet haben, ist enorm. Sie waren 17 Tage ohne FOTOS: ZVG Billi Bierling am Gipfel des Lhotse, 2011. Gegenüber der Mount Everest im Morgenlicht. jegliche Unterstützung unterwegs und sind vom 7555 Meter hohen Gipfel nicht über die Aufstiegsroute, sondern Richtung Südbasislager abgestiegen. Sie hatten keine Ahnung, wohin diese Route führte. Für mich ist das unvorstellbar und ich bin immer noch sehr beeindruckt. Interviews mit solchen Leuten sind meine Highlights! Sie selbst haben auch schon sechs Achttausender bestiegen. Wollen Sie die 14 noch vollmachen? K2, Kangchenjunga und Annapurna I fallen aus, die sind mir zu gefährlich. Allerdings würde ich gerne noch einen siebten besteigen. Wenn es jedoch nicht klappt, ist es auch in Ordnung. Ich habe schon viel erlebt. Besonders stolz bin ich, dass ich es auf den Hauptgipfel des Broad Peak geschafft habe, denn dort war ich am Gipfelgang 36 Stunden unterwegs. Das war Achttausender Nummer sechs. Und welcher soll Nummer sieben werden? Ich wollte im Sommer 2021 eigentlich auf den Gasherbrum II. Die Expedition wurde wegen Corona abgesagt. 2022 würde ich gerne zum Dhaulagiri I, wenn es aber nicht klappt, ist es auch kein Weltuntergang. Ich habe im Herbst während des Manaslu-Trekkings wieder einmal gemerkt, dass ich einfach glücklich bin, wenn ich in den Bergen unterwegs sein kann – egal, wie hoch. Sie führen auch selbst. Das ist kein wirkliches Führen. Ich bin bei Trekkingtouren eine Art Reiseleiterin. Den Mera Peak und den Kilimandscharo habe ich auch schon mit Gruppen bestiegen. Sie haben schon viel gesehen auf der Welt. Welches Gebirge ist Ihnen das liebste? Ich war viel in Südamerika, im Himalaja und auch im Karakorum. Das klingt jetzt vielleicht komisch, aber eines der wildesten Gebirge sind für mich die Schottischen Highlands. Dort kann man sich auf einem kleinen Hügel ernsthaft verlaufen, denn es gibt keine Wegweiser so wie bei uns. Die Berge in Zentralasien interessieren mich auch sehr. Vor ein paar Jahren stand ich auf dem Pik Energia in Tadschikistan, wo ich ein paar Monate für die Humanitäre Hilfe der Schweiz arbeitete. In den Alpen bin ich dagegen nicht so viel unterwegs. In der Schweiz mache ich vor allem Skitouren. Die Zugspitze bestieg ich zum ersten Mal, nachdem ich auf dem Everest war. Mittlerweile ist sie zu meinem Trainingsberg geworden. Wir haben jetzt viel über die Berge gesprochen. Berge spielen sich bei vielen Menschen in der Freizeit ab. Was machen Sie denn gerne in Ihrer Freizeit? Habe ich ein Hobby? Meine Leidenschaften haben alle mit Bewegung im Freien zu tun. Draussen zu sein, das ist mir wichtig. Mein grösstes Hobby sind aber die Menschen. Deshalb arbeite ich so gerne für die Humanitäre Hilfe der Schweiz und deshalb finde ich auch die Arbeit für die Himalayan Database so toll. Da komme ich mit sehr vielen Menschen zusammen. Ich finde sehr gerne etwas über Menschen heraus. Jeder Mensch hat eine Geschichte zu erzählen. Man muss nur zuhören. 40 INSPIRATION 02 / 2022 41

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