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Inspiration Nr. 1/2020

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GIPFELTREFFEN YANNICK

GIPFELTREFFEN YANNICK GLATTHARD «Ich leiste lieber etwas, bevor ich den Lohn dafür erhalte. Nicht andersrum.» Du schreibst Tagesjournal? Wenn ich einen schlechten Tag hatte, dann wird der aufgeschrieben und es kann neu losgehen. Und ich zeichne jeden Monat meine Höhen und Tiefen auf einer Kurve auf. Wenn ich dann zwei Monate viele Peaks hatte, muss ich nicht im dritten Monat noch ein Vollgas-Projekt angehen. Freeriden, Sport- und Eisklettern sowieso, alpine Projekte, Bigwall- Klettern am El Capitan – da fehlen ja eigentlich nur noch die Expeditionen. Hohe Berge sagen mir nicht so viel. Mich reizt eher das Versteckte, Einsame. Aber ich habe jetzt keine Ambitionen Richtung Seven Summits. Ich fände es echt geil, mal auf 6000 Metern noch schwer zu klettern. Trango Tower oder auch Patagonien, da werde ich sicher mal hingehen, wenn die Konstellation passt. Konstellation heisst, mit dem richtigen Kletterpartner? Ja, da bin ich schon konservativ eingestellt. Meinen Kletterpartner muss ich schon sehr gut kennen, um zusammen auf Expedition zu gehen. Da kann man sich nicht noch auf menschliche Experimente einlassen. Auch nicht, wenn dich jemand von den alten Hasen einlädt? Klar wäre das cool. Aber es schadet auch nicht, selber etwas zu entdecken. Dann trage ich das Risiko meiner taktischen Entscheidungen selbst. Mein Lehrgeld muss ich schon selber bezahlen. Du willst dich als jüngerer Bergsteiger nicht als zweites Glied einordnen? Ja, so kann man das sagen. Aber wenn die Konstellation stimmt, gibt es ohnehin kein zweites Glied, weil jeder Kopfüber ins Glück: 2019 gewinnt Yannick Glatthard vor 18ʼ000 Zuschauern den Eiskletter-Weltcup in Denver / USA – obwohl er den Wettkampf eigentlich schon abgesagt hatte. auf seinem Gebiet absolut notwendig ist und vom Partner respektiert wird. Am Berg wie auch im Marketing. Wie geht es denn mit deiner Eiskletter-Karriere weiter? Erst der Rückzug, und letzten Winter hast du die Weltcups in Saas-Fee und in Denver gewonnen. Wettkämpfe sind eine Hassliebe von mir. Mit 18 habe ich ja mal Pause gemacht, für die Bergführerausbildung. Das hat gut getan. Aber schon im Herbst hat mir die Competition gefehlt. Das 20-jährige Jubiläum vom Eiskletter-Weltcup in Saas-Fee war dann ein gutes Trainingsziel. Einmal im Parkhaus gewinnen ... … das war schon immer ein Kindheitstraum von mir! Aus der Wettkampfpause zurück nach Saas-Fee und direkt gewinnen, das hat mich schon gereizt. Ein Ego-Streichler. Voll. Ego ist Ego, ohne geht es nicht. Nach dem Sieg in Saas-Fee habe ich auch für Denver zugesagt. Aber dann hat sich für ein alpines Projekt, auf das ich schon sehr lange schaue, ein Wetterfenster aufgetan. Dann bin ich einfach meinem Flow nachgegangen, habe Denver abgesagt, und bin in das Projekt … Was für ein Projekt war das? Hmm, einfach ein alpines Projekt (schmunzelt). Wir sind aber abgeblitzt, und waren nach 18 Stunden wieder zu Hause. Dort habe ich ge- FOTO: HEATHER FAIRCHILD merkt, dass ich den Denver-Flug gar nicht gecancelt hatte. Oh! Also gepackt, morgens um 6 in Zürich gewesen, Abflug. Das war schon sehr mystisch. Der Flug war brechend voll, nur der Passagier neben mir ist nicht erschienen. Eine Reihe nur für mich, ich habe den ganzen Flug geschlafen. In Denver bin ich, weiter voll im Flow, noch die «Saphira» geklettert, eine M15. Ich hatte nicht mal die richtigen Steigeisen dabei. Unten ist mir eingefallen, dass am nächsten Tag der Weltcup ist. Ich weiss heute noch nicht, wie ich das Finale geklettert bin. Es war keine Anstrengung im Wortsinn. Eher, wie wenn man im Zug sitzt. Wie auf Schienen. Wie läuft denn die Jugend eines angehenden Profi-Bergsteigers ab? Ist Schnupftabak dein einziges Laster? Wenn ich kein Schnupf habe, nehme ich manchmal ein Snus zur Entspannung. Sonst nichts! Also ist noch Zeit für einen Disco- Besuch, oder kletterst du nur noch? Nein, nein … Ich hatte schon auch meine wilde Zeit. Aber was ich am Klettersport extrem schätze, ist das Kollegiale. Man klettert zusammen, man isst zusammen, man macht Party zusammen, man steht zueinander. Da gibt mir die Disco vergleichsweise wenig, auch wenn ich da natürlich auch war, mit 16 oder so. Nach unserem Yosemite-Trip letzten Herbst waren wir noch in Las Vegas. Das war mir höchst unangenehm. Warum, hast du im Casino verloren? Wir waren dort, aber ich habe nicht gespielt. Der ganze Lärm, alle präsentieren sich … da wird mir richtig unwohl. Früher hattest du sogar in Thun Orientierungsprobleme, ist das inzwischen besser? Haha. Ja, das ist besser geworden. Ich habe noch meine Links-Rechts- Schwäche, aber ich gehe mittlerweile ziemlich gerne in die Stadt. Und es ist mir auch egal, wenn ich etwas nicht auf Anhieb finde. Ein wenig die Anonymität der Stadt geniessen? Ja. In Bern kann ich mit den grossen Kopfhörern und Kapuze drüber herumlaufen. In Meiringen geht das nicht, das ist ein Dorf mit einem Dorfleben, wo man auch dazugehört. Du bist derzeit Bergführer-Anwärter. Gäste auf die immer gleichen Berge ziehen, zehn Mal Jungfrau pro Saison, ist das wirklich das, was du willst? Das gefällt mir enorm gut. Ich habe den Vater meiner Freundin mit aufs Diechterhorn geführt. Der hat sich so gefreut! Er hat sich richtig vorbereitet, neue Schuhe besorgt und ist viel Wandern gegangen. Zu sehen, was ihm der Gipfel gegeben hat, das war das schönste Erlebnis des Jahres. Und ohne Führen geht es als Profibergsteiger eh immer nur um dich. Bin ich fit? Kann ich heute die Route klettern? Da tut der Ausgleich mit Gästen gut. Besteht keine Gefahr, dass du das Führen irgendwann nur noch als Dienstleistung ansiehst? Diese Gefahr gibt es sicher. Wichtig ist, dass die eigenen Ambitionen befriedigt sind. Dann ist man ausgeglichen gegenüber den Gästen. Ich werde nicht der Bergführer sein, der 29 Tage pro Monat einen Gast nach dem anderen begleitet. Mehr als sechs Tage am Stück Führen geht nicht, ich brauche auch viel Zeit für mich. Aber wenn das passt, freue mich auf jeden einzelnen Gast. Es ist ja auch sicherer: Wenn man gerne selbst etwas machen würde und die Gäste mit reinzieht, einen Gipfel durchzieht, obwohl nicht viel dafür spricht – das ist schade. Dein Grossvater Arnold Glatthard gründete 1940 die erste Bergsteigerschule der Welt. Du bist heute noch mit seinem Eispickel unterwegs. Gibt es für dich Fussstapfen, die du ausfüllen musst? Ich war sechs Jahre alt, als er starb. Was bei ihm sehr dominant war, war sein Charakter, seine Motivation gegenüber den Bergen. Ende der 40er-Jahre hat er ein kleines Heftchen gemacht, wie man sich als Bergführer gegenüber den Gästen zu verhalten hat. Viele der Inhalte sind heute noch aktuell. Er war ein wenig seiner Zeit voraus. Seine vielen Ideen, die Initiative ergreifen, sich ausprobieren, exponieren – das ist schon etwas, wo ich mir ein Stück abschneiden möchte. STECKBRIEF YANNICK GLATTHARD Yannick Glatthard, geboren am 14. Januar 1998 in Meiringen, ist mehrfacher Junioren- Weltmeister im Eisklettern und belegte im Gesamtweltcup 2019 den 3. Rang. Er war Mitglied der Schweizer Sportkletter-Nationalmannschaft und Teilnehmer der Freeride World Tour. 2019 gelangen ihm Rotpunkt- Wiederholungen von «Golden Gate» (5.13a, El Capitan), «Rotbrätt» (8a+, Jungfrau) und «Portami Via» (7c+, Wendenstöcke). Im November erhielt er als erster Bergsportler seit Jürg von Känel den Panathlon-Preis des Clubs Berner Oberland, der alle zwei Jahre für Fairness und Ethik an ausgezeichnete Sportler vergeben wird. yannickglatthard.ch 48 INSPIRATION 01 / 2020 49

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