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Inspiration - Nr. 04.2021

GIPFELTREFFEN PASCAL

GIPFELTREFFEN PASCAL EGLI rausholen. Das grosse Problem ist die Erholung. Es liegt zeitlich drin, hart zu trainieren, sogar drei Stunden am Tag, und trotzdem 100 Prozent zu arbeiten. Aber danach ist man einfach nicht erholt und macht keine Fortschritte. 2018 hast du immerhin den World Cup im Skyrunning gewonnen! Stimmt. Damals war ich mehrere Wochen auf dem Gletscher für die Feldarbeit, war auf einer Konferenz, habe viel im Büro gearbeitet – und trotzdem war ich sportlich ziemlich erfolgreich. Aber da war auch Glück dabei, ich konnte im Winter zuvor gut trainieren und hatte noch nicht den Arbeitsdruck wie jetzt, wo ich am Ende des Doktorats wirklich abschliessen muss. Es klappt nicht immer so gut, wie es von aussen ausschaut. Man muss einfach sehr effizient sein im Alltag! Das hört sich an, als könntest du weder das eine noch das andere aufgeben. Im Büro komme ich mir mit meinen 80 Prozent manchmal schlecht vor, wenn alle anderen 150 Prozent dafür geben, die besten Forscher der Welt zu sein. Und im Sport ist es dasselbe. Die Leute in der Golden Trail Series machen fast nur Sport, nichts anderes. Wie soll ich gegen die eine Chance haben, wenn ich trotzdem 40 Stunden die Woche im Büro bin? Aber ich finde es auch cool, in zwei verschiedenen Welten zu sein. Einerseits die Nerds, die mit voller Passion dabei sind. Der Sinn meiner Arbeit, am Klimawandel zu forschen oder vor konkreten Gefahren zu warnen. Andererseits der Sport, wo es natürlich auch extrem passioniert zugeht. Aber nur Sportler zu sein, sich nur mit Resultaten zu befriedigen, da fehlt mir etwas. Wenn es beim Sport nicht so gut läuft, habe ich noch meine Wissenschaft – und umgekehrt. Ich sehe mich jedenfalls hauptberuflich weder komplett als Wissenschaflter noch als Profisportler. Kannst du deine Feldforschung in irgendeiner Form als Training verwenden? Am Gletscher campieren wir immerhin auf 2400 Metern, das ist schon mal eine gute Höhenanpassung. Abgesehen davon ist es schwierig. Wenn man gerade nicht am Messen ist, lädt man Geräte auf oder kocht. Dann hast du vielleicht noch am Abend oder morgens eine Dreiviertelstunde Zeit, um irgendwo schnell den Berg hochzurennen. Immerhin geht man bei der Arbeit relativ viel, da kommen ein paar Schritte in der Höhe zusammen. Das ist auch noch etwas Grundlagentraining und viel besser, als den ganzen Tag vor dem Computer zu sitzen. Aktive Erholung? Sozusagen. 2018 war ich mal am Gletscher und bin nur kurz runter, um Sierre-Zinal zu laufen. Das ist ein sehr schnelles Rennen, wenn du da von zehn Stunden am Tag langsam herumwandern kommst, das fühlt sich komisch an. (Anm d. Red.: Egli wurde in diesem Rennen 21. und war Nachhaltig: Zur Skitour reist Egli auch mal mit dem Velo an. mit einer Zeit von 2h 44min 25s der drittschnellste Schweizer.) Was sagen deine Forscherkollegen, wenn du morgens vor den Messungen noch irgendwo hochrennst? Ich bin da schon eher der Freak. Die Kollegen freuen sich eher mal über eine Pause oder schwimmen im See, wenn ich irgendwo hochlaufe. Aber gut, die kennen das mittlerweile. Kannst du beim Sport die Wissenschaftsbrille ablegen, oder scannst du als Morphologe ständig die Landschaft? Tatsächlich tue ich das immer mehr, aber eher beim Training als bei Rennen. Es ist schon cool, es gibt mir ein bisschen das Gefühl, mehr zu sehen als andere, wenn ich auf kleine Landschaftsdetails aufmerksam werde. Wie verträgt sich deine Umweltforschung mit den vielen Reisen zu Rennen rund um die Welt? Ich muss zugeben, dass ich sehr gerne reise. Ich kompensiere zwar FOTO: ZVG «Man muss einfach sehr effizient sein im Alltag!» die Flüge, aber jeder weiss, dass das nicht die Lösung ist, denn die Emissionen sind ja in der Welt. Aber ich versuche, mich zu beschränken. Dieses Jahr bin ich für ein Rennen nach La Palma geflogen, und, falls ich mich für die WM qualifiziere, fliege ich noch nach Thailand, das war´s. Man darf aber nicht nur auf die Flüge schauen. Auch der Bau, die Fleischproduktion, der Pkw-Verkehr stossen viel CO 2 aus. Ich esse v. a. vegetarisch, fahre mit dem Rad oder dem Zug zur Arbeit, habe Dämmung und Heizung zu Hause auf den neuesten Stand gebracht. Seit Kurzem habe ich ein Elektroauto, was zumindest in der Schweiz mit der relativ sauberen Wasserkraft schon Sinn macht. Aber ich würde nie sagen, dass ich heilig bin. Übrigens ist gar nicht nur der Sport das Problem. Da warnen die Forscher vor dem Klimawandel, fliegen aber selbst zum Teil viel. Aber auch das ändert sich gerade. Unser Institut hat eine Umweltcharta. Wenn eine Konferenz binnen acht Stunden mit dem Zug erreicht werden kann, dann wird nur die Zugreise vergütet. Was sagst du zum Ergebnis des CO 2 -Entscheids in der Schweiz? Das war schon eine Enttäuschung. Obwohl das Gesetz jetzt nicht durchging, glaube ich schon, dass es Massnahmen geben wird. Es wird sich zum Besseren wenden, vielleicht nicht so schnell, wie wir wollen. Man hat manchmal das Gefühl, dass viele Leute gerne von Einsparungen reden, aber nur, solange es nicht ums Geld geht. Eine andere typische Haltung: Wir tun doch sowieso schon so viel mit unserer sauberen Energie, jetzt sind andere Länder wie China oder die USA mit ihren Kohlekraftwerken dran. Das ist schon nicht ganz falsch. Aber wir sind halt auch ein reiches Land, und dadurch konsumieren wir automatisch auch viel. Das treibt die Emissionen nach oben. Ist es in einer solchen Diskussionskultur schwer, als Wissenschaftler seine Stimme zu erheben und für Verzicht zu plädieren? Früher haben Wissenschaftler oft nur die Daten abgeliefert, ohne Handlungsanweisungen. Aber das ist falsch, so passiert nie etwas. Wir müssen schon sagen, in welche Richtung wir beim Klimawandel handeln müssen. Wir könnten jetzt innovative Technologien und Start-ups fördern, z. B. bessere Heizsysteme, effizientere Photovoltaik, «Carbon Capture and Storage», wie es die Schweizer Firma climeworks macht. Man müsste viel mehr die Chancen betonen, nicht den Verzicht: Dass weniger Fleisch nicht nur gut fürs Klima ist, sondern auch gesünder. Oder dass eine Wärmepumpe nicht nur fossile Energie spart, sondern auch Kosten. Positiv reden hilft am meisten! Das ist viel besser, als jemanden für sein grosses Auto oder seine Flugreisen zu verurteilen. Du arbeitest gelegentlich auch bei Egli Engineering, der Firma deines Vaters, die auf Hochwasserschutz spezialisiert ist. Werden die Katastrophenfälle in Zukunft häufiger? Erst neulich habe ich ein Paper gelesen, das belegt, dass durch die Klimaerwärmung langsam ziehende Wetterevents mit sehr hohen Niederschlägen bis zum Ende des Jahrhunderts bis zu 14 mal häufiger werden. Insofern sind z. B. die vielen Opfer bei den Juli-Hochwassern in Deutschland wirklich tragisch, das Paper kam nur zwei oder drei Wochen vorher raus. Und ja: Die Statistiken ändern sich. Was früher ein Jahrhundertevent war, ist heute vielleicht ein 20-jähriges Event. Dafür braucht es zwar noch etwas längere Datenreihen, aber die Klimasimulationen zeigen das ganz klar, das ist schon etwas beängstigend. Da müssen wir uns besser anpassen, denn einen Teil der Erwärmung können wir ohnehin nicht mehr rückgängig machen. Es wird sehr trockene Sommer geben, es wird Sommer mit Flutevents geben, oder vielleicht sogar beides im gleichen Sommer. Die Ausschläge werden intensiver. Was ist deine Prognose für den Bergsport? Welche Gefahren wird uns die Klimaerwärmung dort bescheren? Auf jeden Fall wird sich die Saisonalität ändern. Hochtouren wie der Cosmiques-Grat oder die Eigernordwand werden nicht mehr wie früher im Juli oder August gemacht, sondern im Juni, Mai oder April. Dann hat es noch genügend Schnee drin, die Eisund Felssturzgefahr ist geringer. Und dann der Gletscherrückgang: Laut den gängigen Klimaprognosen verschwinden die meisten Alpengletscher bis Ende des Jahrhunderts. Das verändert das Hochgebirge natürlich fundamental. Der Zugang zu den Gletschern wird schwieriger. Die Moränen werden steiler, es gibt mehr Gletscherspalten. Und im Winter wird es öfter sehr hoch regnen, auch über 2000 Metern. Damit wird die Gefahr von Nassschneelawinen zunehmen. Abschliessend: Was hältst du davon, dass Skibergsteigen olympisch wird? Naja, gegenüber Olympia generell bin ich skeptisch. Aber für den Skitourensport ist es schon eine grosse Chance. Ich sehe zwei Seiten: Einerseits ist es gut für den Sport, es gibt mehr Geld, man könnte als professioneller Athlet davon leben. Andererseits kann es auch sein, dass sich der Sport verändert, wenn er so ausgetragen wird, dass er beim Publikum gut ankommt. Aber ich glaube, selbst wenn das passiert, dann gibt es immer noch die coolen Rennen wie die «Mezzalama». Mal schauen! 38 INSPIRATION 04 / 2021 39

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