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Inspiration Nr. 02-2020

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RUBRIK UNTERRUBRIK HOCHGENUSS HÜTTENARCHITEKTUR SCHÖNE NEUE WELT TEXT UTE WATZL «Raumschiff-Ästhetik», «Bunker mit Kantinenflair», «bewohnbare Solarmaschinen» – der moderne Hüttenbau in den Alpen muss sich immer wieder herber Kritik von Traditionalisten stellen. Dabei ist die neue Ästhetik meist kein Selbstzweck, sondern neuen Gesetzen und Gewohnheiten geschuldet. Wie modern darf Architektur in den Alpen sein? Mehr als ein architektonisches Aushängeschild: Die Neue Seethalerhütte im österreichischen Dachsteingebirge. FOTO: PREFA / CROCE & WIR Silbrig glänzt der Edelstahlkubus auf dem Col de Tracuit in der Sonne. Seine Gestalt nimmt Form und Struktur der Felswand auf, über der er steht. Die Fassade reflektiert hell den Turtmanngletscher, und dunkel das Gestein. So fügt sich die Cabane de Tracuit zwar chamäleonhaft ins Landschaftsbild, dennoch ist der 3256 Meter hoch gelegene Neubau von 2013 eine Provokation für jeden Traditionalisten. Die kühle Ästhetik und Geradlinigkeit der Metallhülle versprüht von aussen eher den Charme einer modernen Bergstation im Skigebiet als den einer Schutzhütte im herkömmlichen Sinne. Die Zeit bleibt auch im Hochgebirge nicht stehen. Die Moderne hat sich ihren Weg gebahnt, bis hinauf auf 3000 Meter und höher. Nicht nur der Schweizer Alpenclub, der seit dem Jahr 2000 ein Drittel seiner 153 Hütten für 110 Millionen Schweizer Franken modernisierte; auch die anderen Alpenvereine investieren kräftig in die Aufund Umrüstung ihrer Schutzhäuser. Dabei entstehen meist radikal zweckmässige Neu- und Anbauten, die so manchen Liebhaber rustikaler Alphütten-Behaglichkeit, inklusive kleinen roten Fensterläden, Satteldach und Kachelofenambiente, vor den Kopf stossen. Ganz offensichtlich verändert sich die alpine Architektur. Aber nicht aus Stilgründen, sondern aus purer Notwendigkeit: Gesetzliche Auflagen in Sachen Umwelt- und Brandschutz, Sicherheit, Nachhaltigkeit und Hygiene – das sind die Pflichtteile bei der Planung. Zeitgemässer Stil mit urbanem Schick, das ist eher die Kür. «Die Hütten von heute müssen weitgehend autark funktionieren», sagt etwa Architekt Stephan Hoinkes, der die 2016 eröffnete Neue Seethalerhütte am Hohen Dachstein entworfen und ebenfalls so manchen verständnislosen Kommentar geerntet hat. STEIGENDE ANSPRÜCHE Doch die Neue Seethalerhütte sollte nie einfach nur ein Aushängeschild moderner Architektur darstellen, genauso wenig wie andere Hütten-Neubauten. «Sie sollen zeitgemässe Antworten auf die heutigen Anforderungen liefern, an Ökologie, Nachhaltigkeit und den Grad der Vorfertigung», so Hoinkes. «Die Technik wird dabei Teil der Form.» Unterm Strich bedeutet das für diese Hütte: INSPIRATION 02 / 2020 Das Prinzip Eschenmoser: Ein polygonaler Hütten-Grundriss, der viel Innenraum bietet und wenig Fassadenfläche benötigt. eine optimal zur Sonne ausgerichtete Fassade mit Photovoltaik-Paneelen und einer Neigung der Wände, die das Regenwasser möglichst effizient auf der Aluminiumhülle abfliessen lassen und sammeln, um die Trinkwasserversorgung zu unterstützen. Die Aussenhaut der Neuen Seethaler besteht nicht aus Alu, um Fans von Holzhütten zu ärgern, sondern weil es den Wettereinflüssen standhält und leicht genug für den Transport per Helikopter ist. Das alles ist keine Frage der Ästhetik. Material und Form folgen schlichtweg der Funktion. Zusammen mit modernster Technologie, die den gestiegenen Komfortansprüchen Rechnung trägt, hat das alles seinen Preis. Laut SAC sind während der vergangenen 20 Jahre die Baukosten je Schlafplatz um 27 Prozent gestiegen, der Raumbedarf pro Schlafplatz um rund 21 Prozent. Massenlager weichen Vier- bis Zwölfbettzimmern. Essplätze, Küche und sanitäre Anlagen benötigen ebenfalls mehr Platz. Dazu kommt eine komplexe Haustechnik für ausgeklügelte Abwasser-, Filter- und Energiespeichersysteme. Wegen der hohen Kosten verzögert sich denn auch der nächste grosse Neubau, die Rothornhütte im Wallis, um mindestens ein weiteres Jahr bis 2021. 3,5 Millionen Schweizer Franken hat das Zermatter Architekturbüro Arnold-Perren-Zurniwen veranschlagt. Neben 39

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