RUBRIK UNTERRUBRIK WEGWEISER SKIHOCHTOUR BERNINA DEM MYTHOS AUF DER SPUR TEXT & FOTOS CHRISTIAN PENNING Von der stark frequentierten Nordseite auf die einsame Südseite der Bernina: eine anspruchsvolle Ski-Durchquerung, mit dem Schicksalsberg Piz Roseg als Krönung. Wohl verdient: Pulvertraum auf der Abfahrt an der Nordflanke 12 des Piz Roseg. INSPIRATION 02 / 2020 Piz Roseg. 3937 Meter hoch. Markanter, frei stehender Berg über dem Val Roseg in der Bernina-Gruppe. Sachlich, einfach, knapp: So beschreibt Wikipedia diesen Gipfel. Emotionslos. Ein Berg von vielen. Aber der Roseg ist auch einer, um den sich grosse Geschichten ranken, Gefühle, Wünsche, Dramen. Sie machen aus blossen Fels- und Eismassen eine imposante Festung, ja einen Schicksalsberg mit bisweilen fataler Anziehungskraft. Heini Holzer, die Legende des Steilwandskifahrens, ist ihr erlegen – und hat dafür mit seinem Leben bezahlt. Schon seit Jahren spukt der Piz Roseg durch meinen Kopf. Nicht als sommerliche Hochtour auf den Fast-Viertausender – sondern als Skitour. Doch so oft ich auch an ihn dachte, er blieb für mich ein Mythos. Eher ein vages «Könnte» als ein konkretes Ziel – bis zu jenem Abend Mitte April, als mein Telefon läutete. «Also, unsere Bernina- Tour klappt», meldete sich mein Tourenfreund Jürg. Wir tauschten ein paar organisatorische Banalitäten aus. Kurz bevor ich auflegte, meinte Jürg wie beiläufig: «Dann können wir ja den Piz Roseg noch mitmachen.» Wenige Tage später. Ankunft in Sils. Die Luft riecht feucht und mild, wie nach einem Sommerregen, der auf warmen Boden fällt. Ob das die richtigen Bedingungen für ein solches Vorhaben sind? Immerhin, die Wettervorhersage ist gut. Und der Piz Roseg ist im Grunde nur eine Option auf der dreitägigen Bernina-Runde, die uns vom Corvatsch auf die Gipfel südlich davon führen soll, zur Chamanna Coaz und weiter über eine Scharte am Piz Sella auf die italienische Südseite der Bernina-Gruppe. TRAURIGER MYTHOS – DIE ROSEG-NORDOSTWAND Jürg ist hochmotiviert, als wir am nächsten Morgen mit der ersten Bahn die Corvatsch-Bergstation erreichen. Kaum haben wir die ersten Schwünge in die dünne Neuschneeauflage gezogen, blitzen erste Sonnenstrahlen durch die Wolken. Ein seilversicherter Abstieg führt über einen steilen Felsriegel zum Vadret dal Murtèl. Gegenüber umspielen dampfende Quellwolken den Piz Aguagliouls und den Piz Roseg. «Da ist er!», deutet Jürg hinüber. Der Berg, der zum Mittelpunkt und Highlight unserer dreitägigen Bernina-Durchquerung werden soll. Nein, Heini Holzers Schicksalslinie durch die Nordostwand ist für uns tabu. Es ist ohnehin noch zu früh im Jahr. Vermutlich noch zu viel Blankeis. «Solche Wände sind nicht einfach zu fahren, da muss wirklich alles zusammenspielen, sogar die Stunde», hat Heini Holzer mal gesagt. Eine bequeme Sache, wenn einem die Bedingungen die Entscheidung abnehmen. Würde ich es wagen, wenn die Bedingungen passen? Es gibt genügend Gründe, es nicht zu tun. Zu wenig Detailkenntnis von der Wand. Respekt. Schiss. Vorsicht. Vielleicht hänge ich einfach zu sehr am Leben. 13
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