WEGWEISER WEGWEISER NORTH6 Am Petit Dru über Chamonix erlebt das Duo winterliche Bedingungen. fristig umstellen», sagt Roger Schäli. Das Wetter war auf der gesamten Tour die nervenaufreibende Unbekannte. Und vielleicht auch die grosse Herausforderung des Projektes. Nur weil gerade das Wetter am Eiger passt, kann am Petit Dru trotzdem Endzeitstimmung herrschen. Andere Alpinisten warten teilweise Wochen bis Monate auf die richtigen Bedingungen in den Nordwänden. Die beiden Profi-Alpinisten haben bei ihrem strengen Zeitplan kaum Spielraum. Schäli und Gietl kennen sich seit 2008, als sie damals gemeinsam die Grosse Zinne geklettert sind. Der Südtiroler Extremkletterer Simon Gietl ist vor allem für seine zahlreichen Erstbegehungen in den Dolomiten, aber auch für seine Expeditionen in den Karakorum, Himalaya und andere Gebirge der Welt bekannt. Beide verbindet eine enge und vertrauensvolle Freundschaft, die bei verschiedenen Bergunternehmungen, aber auch tragischen Momenten gewachsen ist. Die Idee zum Projekt hatte der Schweizer Extrembergsteiger vier Jahre lang im Kopf: «Eine Coronageschichte war es jedenfalls nicht», sagt Schäli. Normalerweise sei er aber «etwas leichter», also eher in sehr kleinen Insgesamt legen Schäli und Gietl 1000 km mit dem Rennvelo zurück. «Eigentlich wollten wir mit den grossen Wä nden im Westen beginnen, mussten unsere Route aber wetterbedingt kurzfristig umstellen.» Zwangspause in Chamonix. Einen Tag lang geht gar nichts, weil das Wetter nicht mitspielt. Neuschnee, starker Wind und schlechte Sicht – nicht gerade die besten Bedingungen, um die Nordwand des 3733 Meter hohen Petit Dru im Montblanc-Massiv zu besteigen. Tags drauf wollen es die Extrembergsteiger Roger Schäli und sein Kletterpartner Simon Gietl dennoch versuchen. «Obwohl ich eigentlich lieber noch einen Tag länger gewartet hätte», sagt Roger Schäli einige Wochen später im Interview. Doch der Südtiroler Simon Gietl kennt sich gut aus, er stand schon einige Male auf dem Petit Dru. Gietl geht voraus. Immerhin haben die beiden ein strenges Timing, und so kurz vor dem Abschluss wollen sie das Gelingen ihres Projektes nicht gefährden. In 18 Tagen wollen die beiden die sechs klassischen Nordwände der Alpen besteigen – und das aus eigener Muskelkraft, indem sie auch die Strecken zwischen Matterhorn, Eiger und Co. mit dem Rennrad zurücklegen. An diesem Tag steht Nordwand Nummer fünf auf dem Plan. Drei Uhr morgens. Der Schnee fegt im Licht der Stirnlampe das eisige und teils schneebedeckte Nordcouloir des Petit Dru hinunter. Im Bergsteigerjargon nennt sich das Phänomen Spindrift: Der feinkörnige, aufgewirbelte Schnee kommt den Alpinisten wie ein Wasserfall in der Wand von oben entgegengeblasen. «Dabei kann so viel Druck entstehen, dass man aus der Wand gepresst werden kann», sagt Roger Schäli. Besonders stabil steht man ohnehin nicht in dem heiklen Gelände mit Kletterschwierigkeiten bis 6a und in Mixed-Passagen bis M8+. Als Antritt für die Steigeisen begnügt man sich mit winzigen Granitleisten, die Eisgeräte verhakt man an kleinsten Felsvorsprüngen, von denen das Eis absplittert. Auch die Sichtverhältnisse sind eingeschränkt und der Schnee dringt in jede noch so kleine Öffnung durch die Kleidung ein. «Für die ersten 30 Meter brauchten wir eine halbe Stunde», so der 43-Jährige – die gesamte Wandhöhe beträgt 900 Meter.. Am Ende sind sie bei winterlichen Verhältnissen 17 Stunden bis zum Gipfel des Petit Dru unterwegs, und müssen noch 800 Meter über die Südwand abseilen. NICHT OHNE MASSEUR Die Bilanz ihres North6-Projektes: sechs Tage Klettern, drei Tage Pause, neun Tage Radfahren. Insgesamt legen sie auf ihrer Tour mehr als 30‘000 Höhenmeter und 1000 Kilometer zu Fuss, mit dem Rennrad und dem Gleitschirm zurück. Los ging es an der Grossen Zinne, dann weiter zum Piz Badile, zum Eiger, zum Matterhorn, zum Petit Dru und schliesslich zu den Grandes Jorasses. «Eigentlich wollten wir mit den grossen Wänden im Westen beginnen, mussten unsere Route aber wetterbedingt kurz- FOTO: JOHN THORANTON FOTO: CHRISTOPH MUSTER NORTH6 BERN Eiger 3967 m ZERMATT Petit Dru 3733 m Matterhorn CHAMONIX 4478 m Grandes Jorasses 4208 m GRINDELWALD ZÜRICH MAILAND BONDO Piz Badile 3308 m Grosse Zinne 2999 m Rifugio Auronzo 26 INSPIRATION 01 / 2022 27
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