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Inspiration 4/2017 de

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GIPFELTREFFEN Sie sind

GIPFELTREFFEN Sie sind sie aber nie gegangen? Nein, ich wollte 1978 mit einem Kollegen gehen. Dann hat aber irgendetwas im letzten Moment nicht ganz gepasst. Wir haben verschoben, nochmals verschoben, und dabei ist es geblieben. Aber ich darf sagen: Es gibt keinen Ort auf der Normalroute der Eigernordwand, wo ich nicht gewesen bin. Es war nicht immer ganz schön, wenn ich dort war. Aber das Rettungswesen ist wie eine Waage: Es gibt die schweren Sachen, und es gibt die schönen Sachen. Und solange es sich die Waage hält, ist Bergretter ein schöner Beruf. Als ein Michel Darbellay 1963 allein durch die Wand ist, gab es da keine Nachahmer? Ich habe Michel selbst gut gekannt. Damals hat niemand gesagt: Wenn der Michel das kann, dann kann ich das auch. Wir Grindelwalder gingen bis 1976/77 überhaupt nie in diese Wand. Keiner. Es hiess immer: Da geht man nicht rein. Wenn etwas passiert, müssten uns ja unsere Kameraden retten. Erst um 1977/78 sind die Ersten gegangen. Und heute geht praktisch jeder Bergführer durch. «Im Einsatz hast du einen Tunnelblick. Man will ja helfen, retten. Da sieht man die Gefahren nicht mehr.» 32

KURT AMACHER Was sind die schönen Sachen? Natürlich die, wenn man Leute gesund aus der Wand herausholt. Bei unserer allerersten Longline- Rettung haben wir zwei Holländer da drüben aus dem Genferpfeiler geholt. Einer war schwer verletzt am Fuss. Wir haben uns mit der Jelk-Stange in die Wand gezogen. Als alle unten waren, hat das Wetter richtig losgeschlagen. Hagel, Sturm, ganz schlimm. Aber die beiden waren im Spital. Am nächsten Tag stand ein älteres Ehepaar aus Holland vor meiner Tür. Die hatten sich erkundigt und rausgefunden, dass total sieben Personen am Einsatz beteiligt gewesen waren. Sie hatten sieben gleich grosse Pakete dabei. Ein Jahr später ist auch der Bursche selbst kerngesund bei mir zu Hause gestanden, hat sich bedankt und gefreut, dass er wieder in die Berge gehen kann. Was war in den Paketen? Zu Essen sicherlich! Käse? Ich weiss es nicht mehr. Was ich sagen wollte: Im Gegensatz zu den Holländern hört man von vielen eigentlich gar nichts. Warum ist das so? Aus Scham? Ich weiss es nicht. Wir haben einmal eine Engländerin am unteren Eigerjoch aus einer Klemmspalte gerettet. Sie war unangeseilt und ohne Gurt. Ich habe ihren Arm angefasst, der war eiseskalt. Ihren starren Blick habe ich lange nicht vergessen können. Ich wusste, da sind wir zu spät. Ihre Temperatur war 20,5 Grad. Wir haben eine Stunde reanimiert, bis in Bern im Spital ein Platz war. Später hat mich der Arzt vom Inselspital angerufen und gesagt, dass sie die Frau auf 32 Grad hätten. Ich stand immer in Kontakt mit ihm, und tatsächlich war nach sechs Monaten wieder alles gut. Aber von dieser Frau habe ich nie ein Wort gehört. Das tut ein bisschen weh. Wie viel von all den Einsätzen wird man wieder los? Normale Rettungen konnte ich in der Regel schnell wegstecken. Aber wenn Kinder beteiligt sind, das ist furchtbar. Es passieren ja auch Dinge auf einer Alp, Unfälle in der Gletscherschlucht oder Lawinen. Wir sind nicht nur am Eiger. Welche Charaktereigenschaften muss man als Bergretter haben? Manchmal hätte man gerne den Mumm, die Leute zu fragen, was mit ihnen eigentlich falsch ist. Aber das muss man wegstecken. Es ist nicht unsere Aufgabe, ihnen zu sagen, dass sie am falschen Ort sind und mit ihrem Tun die Retter in Gefahr gebracht haben. Man braucht einen guten Hintergrund. Jemanden, der dir hilft, wenn es schwierig wird. Meine Tochter ist Psychologin, die kann ich um Rat fragen. BERGFÜHRER BERGRETTER Kurt Amacher wird am 10. Juli 1948 geboren. Nach einer Lehre als Spengler erlangt er 1974 das Bergführerpatent. 18 Jahre lang war Amacher Leiter der Bergrettung Grindelwald, führte Hunderte Einsätze durch. Im Jahr 2011 übergab er an seinen Nachfolger. Über 80 Mal hat er den Mittellegigrat geführt. Auch heute ist er noch als Bergführer unterwegs – «aber nicht mehr die allersteilsten Sachen». Amacher lebt in Grindelwald. INSPIRATION 04 / 2017 33

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