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Inspiration 3/2017 de

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Kletterei in perfektem

Kletterei in perfektem Granit, eine imposante Firnschneide und erstklassige Panoramablicke. Und das alles in völliger Einsamkeit? Am höchsten Gipfel des Bergells? Bezwinger des Nordostgrats am Monte Disgrazia fragen sich wahrlich, woher dieser Berg seinen Namen hat. Eine wilde Traumtour am «Unglücks»-Berg. 18

WEGWEISER BERGELL Granit vor der Nase, die Berninagruppe (Bildmitte am Horizont) im Rücken: Am Monte Disgrazia gibt´s Einsamkeit, während sich gegenüber am Biancograt die Alpinisten auf den Füssen stehen. WILDER BERG MIT FALSCHEM NAMEN TEXT & FOTOS FLORENTIN VESENBECKH K indergeburtstag oder Liegewiese? So leicht lässt sich die Atmosphäre nicht einordnen. Eine Grossfamilie hat sich auf dem prallgefüllten Parkplatz in Chiareggio häuslich eingerichtet. Vor dem Campingmobil tischt eine füllige Italienerin gerade die Abend-Pasta auf, aus einem Tischradio säuselt Adriano Celentanos «Azzurro». Einige Meter weiter wirft eine Gruppe gröhlender Jungs Steine über den Torrente Mallero, den Fluss, der das hinterste Valmalenco zum grössten und malerischsten Freibad des Bergells macht. So kommt es Bergsteigern zumindest vor, die am langen Wochenende um den italienischen Nationalfeiertag Naturgenuss, Abenteuer und Abgeschiedenheit suchen. DIE RUHE AM BERG Umso zufriedener schlürfen Caro und Hannes am Abend den italienischen Rotwein im urigen Rifugio Porro, denn die Gaststube teilen sie sich mit gerade mal fünf anderen Gästen. Dabei liegt das gemütliche Heim nur eine Stunde und 400 Höhenmeter vom Parkplatz-Trubel entfernt. Die Hoffnungen auf ein alpines Abenteuer abseits der Massen sind zurück und dafür soll der Monte Disgrazia sorgen. Obwohl der Granit-Riese mit 3678 Metern der höchste Gipfel des Bergells ist, tummeln sich Bergsteiger und Kletterer lieber an den Modegipfeln Piz Badile, Cen- galo oder der Sciora-Gruppe, wo einige Kletterführen mit Weltruhm warten. Noch deutlich abgeschiedener, wilder, aber auch anspruchsvoller als der Normalweg auf den Monte Disgrazia ist der Anstieg über den Nordostgrat. Die Beschreibung im Alpin-Führer: «Gewaltiger, schöner Nordanstieg zum Monte Disgrazia. Was für eine Tour!» Also los. BLECHSCHACHTEL MIT PANORAMABLICK Der nächste Morgen. Um 9.13 Uhr nehmen Caro und Hannes das erste Mal kompakten Granit unter ihre Finger. Nach einer imposanten Gletscherquerung geht es im griffigen Felsgelände hinauf, die Tiefblicke auf den Eisbruch des Ventina-Gletschers zwingen aber immer wieder zum Innehalten. Tagesziel der beiden ist das Bivacco Oggioni, eine Blechschachtel in exklusivster Panoramalage, 3151 Meter über dem Meer. Für normalsterbliche Alpinisten ist eine Übernachtung in dieser Notunterkunft der einzige Weg, den Nordostgrat halbwegs entspannt zu besteigen – vom Rifugio oder aus dem Tal ist es zu weit. Wer dem Erlebnis die volle Würze verleihen will, nimmt im Zustieg zum Bivacco noch die Punta Kennedy mit und reiht somit zwei gewaltige Gratanstiege aneinander. Eine Tour der Extraklasse, die sich Caro und Hannes nicht entgehen lassen wollen. INSPIRATION 03 / 2017 19

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