WEGWEISER URNER GRANITGRATE 2981 m ist der Salbitschijn hoch, also nicht einmal 3000 m. Trotzdem zählt der Westgrat zu den längsten Klettergraten der Alpen überhaupt: 32 Seillängen oder rund 1200 m wollen hier geklettert werden, der «Rolls Royce unter den Graten». 700 m ist die Dammkrone des Göscheneralpsees breit. Die als bepflanzter Erddamm ausgeführte Staumauer wurde 1960 fertiggestellt, das Speicherbecken hat ein Fassungsvermögen von rund 75 Millionen Kubikmetern. In dem See befinden sich die Ruinen der ehemaligen Siedlung Göscheneralp. Die Bewohner wurden umgesiedelt in den jetzt unterhalb gelegenen Weiler Gwüest. 34 Jahre lang war Hans Berger Hüttenwirt der Salbithütte. Das lange Zeit als reine Hütte für Kletterer betriebene Rifugium ist seit 2010 die erste Station einer der schönsten Mehrtageswandertouren der Alpen: die Urner Hüttenrunde. Sie führt einmal um das Göschenertal herum über Salbit-, Voralp-, Bergsee-, Chelenalp-, Damma- und Albert-Heim-Hütte. Infos finden sich im Buch Hüttentrekking Bd. 2 Schweiz im Bergverlag Rother. Eng verbunden mit der Einrichtung der Urner Hüttenrunde ist der Bau der Salbitbrücke. Diese 90 m lange Hängebrücke ist das Kernstück des Fussweges zwischen Salbit- und Voralphütte. vom Weizen trennte. So stehen wir dann auch nach zwei Stunden und einem schweisstreibenden Zustieg alleine im Blockfeld unterhalb des Grates. Wobei unsere Augen schon dabei sind, den Fels abzusuchen: Wo ist eine kletterbare Linie? Wie lässt sie sich absichern? Alex findet als Erster die drei Bohrhaken, welche die erste Seillänge absichern. Die Routenführung ist eindeutig. Spreizend und piazend klettert er hinauf zum ersten Stand direkt auf dem Grat. Das sieht vielversprechend aus! Mit dem Erreichen der Gratschneide weicht der konzentrierte Blick der ersten Klettermeter erstmals der Weite der Umgebung. Das gesamte Panorama der zentralen Urner Alpen tut sich auf, eine Landschaft bestehend aus den Farben Weiss, Grün und Grau. Oder übersetzt: Eis, Gras und Granit. Eis von immer noch beeindruckenden Ausmassen ist am Dammastock zu finden, mit 3630 m der höchste Berg im weiten Rund. Seine Gletscher bzw. deren Schmelzwässer waren es, die vor rund 70 Jahren den Startschuss zur Errichtung des Göscheneralpsees gaben. Am Grund des türkisgrünen Sees des 1960 fertiggestellten Staudamms befinden sich noch heute der Kirchturm des ehemaligen Dorfes Göscheneralp. Seine Anwohner hatte man damals umgesiedelt in den Weiler Gwüest, oberhalb des heute für Kletterer so wichtigen Zeltplatzes. GRANIT – DIE URNER FELSBURGEN Granit wiederum ist die Basis von allem in den Urner Alpen. Wer in der Schule aufgepasst hat, erinnert sich: «Feldspat, Quarz und Glimmer, vergess’ ich nimmer!» Granit ist sicherlich eines der am einfachsten aufgebauten Gesteine – aus mehr als den genannten drei Mineralien besteht Granit nicht. Generell und überall auf der Welt. Und woher kommen sie? Granit ist ein magmatisches Gestein, entstanden in den Tiefen unserer Erde. Vor vielen Millionen Jahren drang geschmolzenes Gestein in die Erdkruste ein und blieb während ihres Aufstiegs in Tiefen zwischen ca. vier und sechs Kilometern stecken. Dort hatte der heisse Gesteinsbrei, den man sich von der Form her ungefähr vorstellen muss wie einen in das umgebene Gestein eingelagerten Pilz, dann Zeit. Viel Zeit – um abzuküh 24
FELDSCHIJENGRAT len und grosse Kristalle zu bilden. Durch den Abkühlungsprozess schrumpfte auch der gesamte Gesteinskörper, es bildeten sich Schrumpfungsrisse, die – anders als man das z. B. vom Bodensatz einer Pfütze her kennt – im rechten Winkel zueinander stehen. Wenn man also den gesamten Gesteinskörper betrachtet, ist dieser durchzogen von senkrecht aufeinander stehenden Rissen, so als wäre dieser aus Quadern unterschiedlicher Grösse aufgebaut. Noch jedoch steckt das Gebilde tief in der Erdkruste. Und das wäre auch noch lange so geblieben, hätte nicht Afrika in seiner Kontinentalbewegung vor ca. 55 Millionen Jahren einen Nordschwenk vollzogen – auf Kollisionskurs mit Europa. Es bildeten sich die Alpen, und zuvor tief im Erdinnern geparkte Gesteine kamen durch Hebung und Erosion an die Oberfläche. Wasser konnte jetzt auch den Urner Granit angreifen und drang in die bereits von der Natur angelegten Schwachstellen des Gesteins ein – die senkrecht zueinander stehenden Risse bzw. Klüfte. Durch den sich ständig wiederholenden Zyklus des Gefrierens und Tauens sprengte sich das Wasser im wahrsten Sinne des Wortes in den Fels hinein, die Gletscher der letzten Eiszeit räumten den entstandenen Schutt zu Tal. Übrig blieben die Zacken, Plattenfluchten und Grate der Urner Berge. Riesige Felsburgen, deren Mauern von parallel zueinander verlaufenden Rissen und Verschnei «Ein Traum aus Granit, noch schöner und eleganter geht Klettern eigentlich nicht.» Der gekonnte Einsatz von Keilen und Friends hilft Risiken und Nebenwirkungen des alpinen Kletterns überschaubar zu halten. Grüne Wiesen und grauer Granit bestimmen die Umgebung des Göscheneralpsees. INSPIRATION 02 / 2018 25
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