Aufrufe
vor 6 Jahren

Inspiration 1/2018 dt

  • Text
  • Inspiration
  • Schnell
  • Gipfel
  • Meter
  • Gewicht
  • Berge
  • Cerro
  • Stephan
  • Ueli
  • Dynafit

GIPFELTREFFEN NICOLAS

GIPFELTREFFEN NICOLAS HOJAC Tanja auf den Gantrisch gehe: Wenn ich vom Berg runterkomme, fühle ich mich immer besser, als ich hochgegangen bin. Das ist so. Immer. Was haben Sie 2018 genau vor? Gerade drehen wir einen Eiskletter- Film für die European Outdoor Film Tour (EOFT). Im Wesentlichen – und das ist mein Plan für die Zukunft – will ich jedes Jahr ein oder zwei grosse Expeditionen in Pakistan oder Nepal unternehmen und technisch schwierige Wände wie die Nordostwand des K7 oder die Nordwand des Xuelian West hochgehen. Sie ziehen mich magisch an, sie will ich erklimmen. Ich habe aber keine Bucket List mit 100 Gipfeln oder so, auf die ich unbedingt hoch muss. Das nicht. Dennoch habe ich für 2018 ein grosses Ziel. Und das wäre? Am 19. Juni 2017 stieg ich ja bereits über die Gipfel von Jungfrau, Mönch und Eiger. Diese Trilogie schaffte ich in der Rekordzeit 11 Stunden und 43 Minuten. Nun will ich die Sache in diesem Frühjahr noch einmal steigern. Ich will auf jeden Gipfel hoch und mit dem Gleitschirm hinunter. Also Eiger hoch, mit dem Gleitschirm runter. Mönch hoch, mit dem Gleitschirm runtersegeln. Jungfrau hoch und runter. Unter dem Strich: drei Nordwände, drei Flüge, ein Ziel. Das klingt sehr ambitioniert. Wie lange würde ein normaler Bergsteiger für so ein Unterfangen benötigen? Oh, das weiss ich nicht. Bestimmt aber fünf, sechs Tage. Und Sie? Ich denke mal unter 20 Stunden werde ich schon schaffen. Welcher von den dreien ist am schwierigsten? Kein Berg, keine Wand und keine Passage sind mit einer anderen vergleichbar. Jeder Berg ist einzigartig. Und einzigartig gefährlich. Wenn Sie an der Eigernordwand auch nur einmal ausrutschen, ist es vorbei. Deswegen versuche ich ja stets, nie so lange oben zu bleiben. Schnell rauf und schnell runter. Das mindert die Gefahr. Das sagen Sie. Hans Kammerlander, erst 61 Jahre alt, sagt, ihm seien nur Daniel Wellig, Konrad Auer und Reinhold Messner geblieben. Alle anderen seiner Bergkameraden leben nicht mehr. Bei uns gibt es wirklich, wie er sagt, keine Fangnetze wie bei Skirennen, keine Reifenstapel wie in der Formel 1. Das ist mir alles bewusst. Ich selbst habe ja schon zwei enge Freunde verloren. Einen aus Holland, einen hier aus Bern. Bei mir muss deswegen ja alles schnell gehen. Je kürzer ich dort oben bin, desto geringer ist die Gefahr, dort oben umzukommen. Wenn ich also in der Früh die Nordwand bestei- ge, dann bin ich nachmittags zum Zvieri wieder zu Hause. Das ändert nichts an der Tatsache, dass Sie tot sind, wenn Sie runterfallen … … nicht aber, wenn ich gesichert bin. Bei der Speed-Begehung mit Ueli Steck waren wir beide mit einem 30 Meter langen Seil verbunden. Sie waren aber nicht immer eingehakt. Nur auf den Schneepassagen und einfachen Strecken nicht. Ansonsten schon. Wenn der «Vorsteiger», in dem FOTO: THILO BRUNNER Fall war es Ueli, gefallen wäre, wäre nichts passiert. Zumindest nicht tödlich. Eine Garantie gibt es dort oben sowieso nicht. Es kann ja immer noch sein, dass der Haken rausbricht, wenn gleichzeitig zwei Leute in die Tiefe stürzen. Deswegen mache ich so etwas ja nicht jeden Tag. Das wäre für meine Psyche zu viel. Zu Ihrem Seilpartner brauchen Sie aber ein Gottvertrauen. Ueli und ich kannten uns ja auch schon jahrelang. Wir haben zusammen trainiert, waren sehr gut befreundet. Aus diesem Grund gibt es ja nur einen weiteren Menschen auf dieser Welt, dem ich mein Leben in so einer Wand anvertrauen würde. Und das ist Jonas Schild. Reinhold Messner hat es in einem Interview ja mal richtig gesagt: «Wir gehen dorthin, wo man umkommen könnte, um nicht umzukommen.» Wenn ich beim Bergsteigen nicht umkommen könnte, wäre es nur ein Sport, ein Spiel. Und genau das ist es nicht. Viele halten Sie trotzdem für verrückt. Das kann ich verstehen, wenn man die Bilder sieht. Das soll nicht arrogant klingen, aber wenn ich die Nordwand hochsteige, werden meine bergsteigerischen Fähigkeiten gar nicht so stark gefordert. Für die Wand muss ich nicht mal 50 Prozent meines Könnens abrufen. Das heisst aber nicht, dass ich mit einem Ruhepuls von 48 da hochsteige. Was haben Sie denn für einen Puls bei der Durchsteigung? Mein Puls war bei der Rekordbesteigung deutlich höher als der von Ueli. Das lag daran, dass ich als zweiter Mann immer zu ihm aufschliessen musste. Er konnte sein Tempo gehen, ich musste die Lücke stets schliessen, damit das Seil immer unter Spannung stand. Ueli kam auf einen Maximalpuls von 160, ich hatte 185. Gestresst oder unwohl habe ich mich nie gefühlt, nicht eine Sekunde. Was hatten Sie an Verpflegung dabei? Einen halben Liter Wasser und einen Power-Riegel. Sie studieren Maschinenbau, wohnen noch zu Hause. Was sagen Sie beim Frühstück Ihrer Mutter? «Du, Mami, ich gehe nach dem Frühstück mal schnell durch die Nordwand». Ich kann Ihnen sagen: Wir hatten da schon ein paar Diskussionen zu Hause. Zuerst wollte meine Mutter das ja alles nicht, partout nicht. Dann musste ich so ein bisschen schummeln. Eines Tages habe ich zu ihr gesagt: «Du, wir gehen mal nur so zum Einstieg des Eigers, schauen uns da mal so ein bisschen um.» Sie wusste ganz genau, dass wir in die Wand einsteigen werden. Deswegen ist sie auch heilfroh, dass nur einer von uns klettert. Mein Bruder ist Koch im Hotel Giardino Mountain in St. Moritz und hat zum Bergsteigen gar keine Zeit. Wann haben Sie die Liebe zu den Bergen entdeckt? Mit 13. Ich war ein paar Wochen lang in den Ferien in La Fouly im Walliser Val Ferret, um Französisch zu lernen. Nachmittags haben wir dort immer Fussball gespielt oder waren mit dem Mountainbike unterwegs. Dann haben wir eines Tages eine Zweitagestour gemacht. Seitdem bin ich regelrecht von den Bergen infiziert, seitdem kann ich nicht mehr ohne sie. Zum 14. Geburtstag wollen Jugendliche eine Playstation oder ein neues Bike. Sie haben sich einen Viertausender gewünscht. Meine Eltern erfüllten mir den Wunsch und ich durfte zusammen mit einem Bergführer auf das Lagginhorn in den Walliser Alpen. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie glücklich mich das machte. SCHNELL STEIGER Nicolas Hojac, am 13. Juli 1992 geboren, lebt in Niederscherli südlich von Bern. Neben seinen Projekten als Profialpinist studiert er Teilzeit an der Berner Fachhochschule Maschinentechnik. Mit 13 entdeckte er bei Sprachferien seine Leidenschaft für die Berge, schon fünf Jahre später durchstieg er erstmals die Eigernordwand – 2015 mit Ueli Steck zusammen in der Rekordzeit von 3:46 Stunden. Doch nicht nur Speed und die grossen Nordwände der Alpen interessieren Hojac. Aktuell faszinieren ihn eher unbekannte Gipfel im Karakorum und Tien Shan. Er will «das versuchen, wo andere gescheitert sind». 34 INSPIRATION 01 / 2018 35

Deutsch