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Inspiration 1/2018 dt

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Sage trifft auf

Sage trifft auf Wissenschaft: Das Martinsloch im Kamm der Tschingelhörner gehört auf jeden Fall zu einer Wanderung durch den Geopark Sardona. AUFGEDECKT TEXT & FOTOS IRIS KÜRSCHNER Rätselhafte Naturphänomene überraschen in den Glarner Alpen. Hotspot für wegweisende Entdeckungen: der Geopark Sardona. Mit einem Geo- Guide auf 3-Tages-Tour durch einsame Hochtäler und über raue Grate. «Kein Mensch würde es glauben, man hielte mich für einen Narren.» Was der Geologieprofessor Arnold Escher 1848 aufdeckte, wälzte alle bisherigen Vorstellungen um. Allerdings erst nach langem Widerstand. Nirgendwo auf der Welt zeigen sich die Mysterien der Gebirgsbildung so deutlich wie im Osten der Schweiz, zwischen Churer Vorderrheintal, Walensee und Linthal, im Grenzgebiet der drei Kantone St. Gallen, Graubünden und Glarus. Das Calfeisental ist eines der faszinierendsten Entrées in das Herzstück des Parks: das Sardonamassiv. Das Postauto hat eine Handvoll Wanderer am Staudamm des Gigerwaldsees entlassen, wo es zwischen den Felsen so eng ist, dass nur das Wasser Platz hat und für das Strässchen in den Talschluss Galerien geschlagen werden mussten. Auf dem Weg durch die Serie tropfender Tunnels klettert der Blick immer wieder staunend die Steilwände hinauf. Merkwürdige Linien zeichnen die lotrechten Felsfluchten. Aufgeschichtet wie Blätterteig. Als wäre dem Gebirgsrelief ein schmales Kuchenstück entnommen, um sein Innenleben studieren zu können. «Lotrechte Felsfluchten, aufgeschichtet wie Blätterteig. Als wäre dem Berg ein Kuchenstück entnommen, um sein Innenleben studieren zu können.» «Die Schichtungen, die in den Wänden als Linien oder als bankförmig hervorstehende Felsplatten erkennbar sind, kennzeichnen Sedimentgesteine. Überlagern sich mehrere Schichten, ergibt sich ein ungeheures Zeitarchiv», erklärt Thomas Buckingham der kleinen Wandergruppe, die sich mit ihm zu einer dreitägigen Exkursion aufmachen will. Der Geologe gehört zu einer Mannschaft von GeoGuides, die im Geopark Sardona Wanderungen mit Tiefblick anbieten. Anstatt trockener Materie und wissenschaftlichem Kauderwelsch aus Fachbüchern, die ein Laie kaum kapiert, gibt es Erdgeschichte zum Anfassen. WEGWEISER GEOPARK SARDONA Am anderen Ende des Stausees liegt Sankt Martin. Die Walsersiedlung wirkt wie ein Relikt aus einer längst vergangenen Zeit. Wettergegerbte Holzhäuser, die Fenster geschmückt mit roten Geranien, auf einem kleinen Weiher schnattern Enten miteinander. Im Beinhaus an der geschichtsträchtigen Kapelle harren die Knochen der letzten Bewohner, die hier ums Überleben kämpften. Im Winter drang kein Sonnenstrahl hinunter, Lawinen bedrohten die Einwohner. Im Jahr 1652 übersiedelten die von einer einst 100 Personen umfassenden Walserkolonie noch verbliebenen drei Calfeisni ins ganzjährig bewohnte Dorf Vättis, gelegen an der Einmündung vom Calfeisen- ins Taminatal. Die Stimmen der verstorbenen Seelen höre man manchmal noch, verrät André Riehle aus eigener Erfahrung. Für den Wirt von St. Martin gibt es keinen magischeren Ort. Tatsächlich aber haben ihn die Steine hierher geführt. Im Flussbett liegen sie überall verstreut. Graue Brocken mit weissen Linien, die wie Kunstwerke wirken. Adermineralien, klärt Buckingham auf. Bruchstellen im Gestein füllten sich mit reinerem Material, deshalb die weisse Farbe. EINE LINIE ZUM KOPFZERBRECHEN Anstatt die Alpstrasse zu wählen, führt Buckingham auf einem verwunschenen Pfad am linken Ufer der Tamina entlang zur Alp Sardona. Im Talschluss Kuhgebimmel, Murmelipfeifen, Sommeridylle. Wer den Hals reckt, sieht, wie durch die oberste Partie der Felsenarena eine markante Linie zieht. Scharf und gerade, wie mit einem Lineal gezogen. Sie trennt älteres von jüngerem Gestein. Eigentlich müsste es aber doch umgekehrt sein? Ein Rätsel, das Geologen fast ein Jahrhundert Kopfzerbrechen verursachte. Wie kann älteres auf jüngerem Gestein liegen? Buckingham holt weit aus. Bis ins 19. Jahrhundert glaubten die Erdwissenschaftler, dass Gebirge aus aufgestiegenem Magma bestünden, welches durch Abkühlung ähnlich schrumpfte wie die An der Glarner Hauptüberschiebung liegt altes Gestein auf jüngerem. 10 INSPIRATION 01 / 2018 11

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