«Die Berge sind eine Lebensschule.» Speed-Rekorde sind einfach auch Ausdruck unserer modernen Zeit. GIPFELTREFFEN 20 Samuel: Die Berge sind eine Lebensschule. 2009 bin ich mit meinem zweiten Bruder, Simon, zur Erstbegehung durch die Südwand des 7'350 Meter hohen Jasemba im Himalaya aufgebrochen. Bei einem solchen Projekt musst du so viele Entscheidungen treffen, das macht dich danach im normalen Leben viel entscheidungsfreudiger. Es schärft den Blick, worauf es konkret in der Situation ankommt. Wie ist es, mit einem Bruder eine Seilschaft zu bilden? Samuel: Die meisten Klettertouren bin ich mit Simon gegangen. Simon ist ein Alphatier. Ich war immer beta – hintendran oder nebendran. Es gab da kein Konkurrenzdenken. Für mich war Simon immer der bessere Kletterer. Im Sportklettern, im Eisklettern und im Alpinbergsteigen. Da war er für mich auch ein Vorbild. Wir haben uns immer gegenseitig motiviert. So ist es auch mit Martin im Berglauf. Es ist eine Motivation, zu sehen, was möglich ist. Aber ich kann mich niemals mit ihm vergleichen. Das wäre Blödsinn. Martin: Genauso geht es mir, wenn ich Samuel Skifahren sehe. Ausdauersportler gelten oft eher als langweilig, die Freerider als die wilden Typen – treffen diese stereotypen Ansichten auf euch zu? Samuel: Das geht schon in die richtige Richtung. Martin: Allerdings ist Samuel einer, der beim Freeriden sehr viel Disziplin hat. Er weiss genau, was nötig ist, um Leistung zu bringen, ... was er trainieren muss. Und deshalb ist er auch so gut. Er profitiert von mir, wenn es um konsequentes Training geht. Anders herum kann aber auch ich von seiner Technik profitieren. Samuel: Ich fahre ja nicht nur Wettkämpfe. Ich befahre auch Steilwände, betreibe Extremskifahren. Dafür musst du schon mehr trainieren. Wenn du 1'500 Höhenmeter eine Wand hinaufklettern musst, merkst du jedes Bier, das du getrunken hast. Samuel, könntest du dir vorstellen, bei einem Wettkampf im Skibergsteigen zu starten? (grinst). Da habe ich meine Erfahrungen gemacht. 2013 bin ich bei der Patrouille des Glaciers gestartet. Ich war eigentlich nur Ersatzmann, hatte nur 3'000 Höhenmeter trainiert. Entsprechend übel ging es mir. Ich könnte mir schon vorstellen, so etwas mal wieder auszuprobieren, aber dann möchte ich richtig trainiert sein. Was geht dir beim Stichwort «Aufstieg» durch den Kopf? Das ist für mich der Zugang zu neuen Linien in der Abfahrt. Mit unserem Material, mit Lawinenrucksack, breiten, schweren Ski ... meistens sehr beschwerlich. Mental um einiges anstrengender als eine Abfahrt. Aber jede Abfahrt, die ich mir bergauf erklettere, fühlt sich qualitativ um einiges besser an, als mit der Bahn oder mit dem Hubschrauber hochgebracht zu werden. Es gibt wenige Bergsportler, die so vielseitig sind wie ihr. Samuel: Es liegt sicher an unserer Jugend. Wir waren immer schon polysportiv unterwegs: Skifahren, Klettern, Bergsteigen … Martin: Das kommt nicht einfach so. Da steckt auch viel Arbeit dahinter. Unser Leben ist voll auf das ausgerichtet, was wir tun. Das ist kein Nine-to-five-Job. Ich bin Ausdauersportler, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche.
«Für uns sind die Berge unser Element wie für einen Surfer das Meer. » Speed-Rekorde sind einfach auch Ausdruck unserer modernen Zeit. Ich sehe die Berge auch als Inspiration, mich weiterzuentwickeln. Und das braucht es auch, um Top-Resultate zu erreichen und noch besser zu werden. Sicher gehe ich auch mal ein Bier trinken ... Samuel: ... Nein, das macht er nicht! (lacht). Aber im Ernst: Unser ganzes Leben ist darauf fixiert, sportlich weiterzukommen. Wer ganz noch oben will, muss leiden? Samuel: Jeden Tag. (lacht). Nein, nicht wirklich. Es gibt Leute auf der Welt, die leiden wirklich, jene, die nichts zu essen haben. Wir können uns in den Bergen austoben und unseren Visionen, unserer Leidenschaft nachgehen. Das ist manchmal hart. Letztendlich sind es Glücksmomente, für die wir ein paar Strapazen auf uns nehmen. Martin: Leiden ist das falsche Wort. Wenn ich in Führung liege und auf dem Weg zum Sieg bin, dann leide ich körperlich, aber geistig bin ich auf Wolke sieben. Was mir wichtig ist: Ich mache das nicht nur, um gute Leistung zu bringen, sondern weil es für mich Lebensqualität ist, eine Lebenseinstellung. Natürlich kann ich nicht immer nur trainieren, trainieren, trainieren. Du brauchst auch eine andere Schiene, damit du abschalten kannst. Für mich war das in den letzten Jahren unser Haus. Simon, Samuel und ich haben es von unserem Grossvater gekauft und umgebaut. Ein grossartiges Projekt, perfekt, um mal den Fokus zu ändern. Samuel, du arbeitest mit den besten Skifilmern der Welt zusammen. Skifahren als Abenteuer – ist das ein Ausgleich zum Druck bei den Contests? Samuel: Ganz klar, das pure Freeriden findet nicht in den Wettkämpfen statt. Beim Filmen sehe ich Linien, die ich befahren will, die mich motivieren. Das ist ein ganz anderer Zugang, DIE ANTHAMATTENS Drei Brüder, drei Ausnahme-Alpinisten: Samuel Anthamatten ist Weltklasse-Freerider und gleichzeitig ein vielseitiger Kletterer, mittlerweile auch Mountainbiker. Martin spielte bis zu seinem 22. Lebensjahr Eishockey. Mittlerweile zählt er zur Weltelite im Berglauf und im Skibergsteigen. Simon zählt zu den besten Extrembergsteigern und war Eiskletter-Gesamt-Weltcupsieger 2008. ALTER Samuel: 29 Jahre, Wohnort Zermatt Martin: 31 Jahre, Wohnort Zermatt BERUF Samuel: Zimmermann, Dipl.-Skilehrer, Bergführer UIAGM Martin: Grenzwächter, Metallbauer, Hochbauzeichner, Bergführeraspirant ERFOLGE Samuel: Klettern: Jasemba Südwand (7'350 m) Erstbegehung, Verro torre, El Capitan «Freerider»; Ski: 2011 2. Rang Overall Freeride World Tour, 2015 7. Rang Martin: Skibergsteigen: 2010 1. Patrouille des Glaciers (mit Streckenrekord 5:52:20 h), 2011 Weltmeister im Sprint; Berglauf: 1. Matterhorn Ultraks 2015, 1. Flagstaff Skyrace (USA). INFO www.anthamattens.ch auch emotional. Auf einem Trip, einer Expedition, bin ich viel glücklicher. Klar ist es auch schön, einen Wettkampf zu gewinnen, aber nicht im selben Masse. Doch Contests sind natürlich ein gutes Schaufenster, mich als Profisportler zu präsentieren. Ausserdem GIPFELTREFFEN 21
Laden...
Laden...
Laden...