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Inspiration - 02.2019

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WEGWEISER VALLE DI

WEGWEISER VALLE DI MUGGIO Gastwirte, Ladenbesitzer und Herbergseltern: An Piera und Guerino Piffaretti kommt man in Scudellate nicht vorbei. VALLE DI MUGGIO IN ZAHLEN 72 HÖHLEN SIND ALLEIN AUF DER SCHWEIZER SEITE DES MONTE GENEROSO BEKANNT. DER BERG WEIST DAS GRÖSSTE KARST- SYSTEM DER SÜDSCHWEIZ AUF. 40 KINDER DRÜCKTEN IN SCUDELLATE EINST DIE SCHULBANK. HEUTE DIENT DIE SCHULE ALS JUGI. 70 NEVÈRE, SOGENANNTE SCHNEE- HÄUSER, ZÄHLT DAS VALLE DI MUGGIO, SO VIELE, WIE SONST NIRGENDS IN DER SCHWEIZ. Das Valle di Muggio ist vielleicht der wildeste, mit Sicherheit aber der unschweizerischste Winkel der Schweiz. im Schmugglergeschäft tätig. Bis in die Siebzigerjahre ging das», erzählt Guerino. «Mit ‹peduli›, aus Jutesäcken zusammengenähten Schuhen, schlich man über die Grenze hinterm Dorf durch die Berge zum Comer See. Ein Sieben-Stunden-Marsch. Auf dem Buckel die ‹bricolla›, vollgestopft mit 700 Zigarettenpaketen. 70 Franken betrug der Lohn.» Piera und Guerino betreiben nicht nur die Osteria, sondern auch noch einen Krämerladen im selben Haus. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als sich Chiasso und Mendrisio zu wirtschaftlichen Zentren entwickelten, kam die grosse Landflucht. Die Schule von Scudellate, wo einst 40 Kinder die Schulbank drückten, gleich neben der Osteria, dient heute als Jugendherberge. Es liegt fast auf der Hand: Piera und Guerino sind die Herbergseltern. Auch Silvia Ghirlanda kommt immer wieder gerne für einen Schwatz und ein gutes Essen in die Osteria Manciana. Mit ihrem Mann Paolo Crivelli zählt sie zu den Pionieren des örtlichen Ecomuseums, das sich 1980 als Verein formierte. Das Museo etnografico della Valle di Muggio (MEVM) sah keinen Zweck darin, historische Gegenstände in einem Gebäude zu konservieren. Stattdessen bezog man das Kulturgut der Landschaft mit ein. Repräsentative Bauten und Produktionsstätten wurden restauriert, etwa die Mühle von Bruzella, die seit 1996 wieder den roten Tessiner Mais mahlt. Die Casa Cantoni, ein prächtiger Palazzo in Cabbio, richtete man als Informationszentrum her. Besucher können sich dort ein Bild verschaffen von den Schätzen des Valle di Muggio, die es zu entdecken gibt: wie den Graa, die Dörrhäuser, die Nevère, die Schneekeller, oder den Roccoli, die Vogelfangtürme. Silvia Ghirlanda, die viele Jahre als Kuratorin die Casa Cantoni verwaltete, sagt: «Vor allem wollten wir auch den Einheimischen zeigen, wie wertvoll und schützenswert ihr Tal ist. Sie dafür gewinnen, traditionell zu renovieren und nicht alle möglichen Stile einzuführen, wie diese geschmacklosen Betonklötze in Morbio am Eingang des Tals.» TÜRME FÜR DIE VOGELFÄNGER, KELLER FÜR DIE MILCHBAUERN Eine von Ghirlandas Lieblingstouren führt von Scudellate mehr oder weniger flach nach Erbonne. Das Dorf liegt bereits in Italien und ist nur zu Fuss erreichbar. Eine vom MEVM restaurierte Trockenmauer begleitet den einsamen Pfad, im Frühsommer wachsen wilde Erdbeeren in den Ritzen. Ahnungslose Wanderer wundern sich über das steinerne «Hochhaus», das sich auf halbem Weg im Wald versteckt. «Um das Überleben zu sichern, musste man hier in vielerlei Hinsicht erfinderisch sein», erzählt Ghirlanda. Ein gutes Zubrot ergab der Vogelfang. Mit Lockvögeln verführte man die Zugvögel zur Rast im Baumhain vor dem Turm und erschreckte sie dann derart, dass sie in aufgespannte Netze flogen. Wer den Roccolo, das dreistöckige Turmhaus des Vogelfängers, besichtigen möchte, kann sich den Schlüssel in der Osteria Manciana besorgen. Bei weniger Bewölkung reicht der Blick vom Höhenweg am Monte Generoso bis zu den Eisriesen der Walliser Alpen. Auch auf den Pfaden gen Monte Generoso stösst man auf überraschendes Kulturgut. Die Route über die Alpe di Sella führt über kahle Hänge, die den Weitblick bis zur Poebene öffnen. In den archaischen Alpsiedlungen, die der Weg streift, fallen kreisrunde Gebäude auf. Wer hineinlugt, sieht, dass sie zu drei Vierteln in den Untergrund gebaut sind, kunstvoll in Trockenmauermanier. In diese Nevère schaufelten die Bergbauern einst den letzten Frühjahrsschnee. Gepresst und verdichtet diente er bis in den Herbst zum Kühlen der Milch. Eine geniale Lösung für das Karstgebirge, in dem kühlendes Quellwasser fehlt. «Kreisrunde Schneehäuser – zumal in dieser Dichte – gibt es sonst nirgends in der Schweiz», betont Ghirlanda. Das MEVM inventarisierte rund 70 solcher Nevère, manche sind an die 200 Jahre alt. Die schönste Wanderzeit am Monte Generoso, schwärmt Ghirlanda, sei Ende Mai bis Anfang Juni. Dann leuchten die weissen Blütenkerzen des 14 INSPIRATION 02 / 2019 15

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