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Inspiration 01-2019 deutsch

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HAUSBERG ELBRUS H A U S

HAUSBERG ELBRUS H A U S B E R G AUFS DACH GESTIEGEN PROTOKOLL MIRJAM MILAD Hausberge liegen vor der Haustür? Wir sehen das mal nicht ganz so eng. Schliesslich gibt es zwischen dem im Süden Russlands gelegenen Elbrus und der Schweiz historische Verbindungen. So oder so ist der Fünftausender eine Reise wert, findet Thomas Bühlmann von der Bächli Bergsport Filiale Kriens, der das «Dach Europas» über die Nordroute bestieg. E L B R U S Zugegeben, der Elbrus ist für uns Schweizer kein «Hausberg» im eigentlichen Sinne. Nichtsdestotrotz gibt es eine historische Verbindung zwischen dem im Süden Russlands, nördlich der georgischen Grenze gelegenen Berg und der Schweiz. Es war nämlich ein Schweizer, genauer gesagt der Walliser Bergführer Peter Knubel, der den Hauptgipfel 1874 mit drei Engländern zum ersten Mal bestieg. Damit war Knubel der erste Schweizer Bergführer, der ausserhalb seines Heimatlands einen Berg erstbestiegen hatte. Der Elbrus ist natürlich nicht irgendein Berg: Mit 5642 Metern über Meer ist er der höchste Berg des Kaukasus und Russlands. Ob er auch der höchste Berg Europas ist, hängt von der Definition der innereurasischen Grenze ab, die nach wie vor umstritten ist. Viele Bergsteiger sehen ihn jedoch als einen der «Seven Summits», der jeweils höchsten Gipfel der sieben Kontinente, an. Der lange erloschene Vulkan ist stark vergletschert: Seine Kappe aus Eis und Schnee brachte ihm auch den Namen «weisser Berg» ein. ERSCHWERTE ANREISE Der Mai gilt als die beste Zeit für eine Besteigung mit Skiern. Es liegt noch ausreichend Schnee, aber es ist nicht mehr ganz so kalt. Zudem ist nicht mehr mit Blankeis zu rechnen. Genau wie einst Knubel haben wir die Nordroute auf den Berg gewählt, denn wir wollen mit Ruhe und «by fair means» auf den Elbrus steigen. Die Südseite des Bergs ist bis auf 4000 Meter mit Bahnen erschlossen und entsprechend übervölkert. Wir, das sind Nadja, Mary und ich – allesamt Mitarbeiter der Bächli Bergsport Filiale in Kriens. Ausserdem begleiten uns sechs weitere Schweizer Bergsteiger, Nikita, unser Tessiner Bergführer, und Konstantin, der russische Bergführer. Organisiert wird die Reise von der Bergschule Kobler & Partner, die auch die Mitarbeiter von Bächli ausbildet. FOTOS: VRONI WEY FOTOGRAFIE Wir erreichen Mineralnyje Wody, zu Deutsch Mineralwässer, per Inlandsflug von Moskau. Es ist unerwartet warm, das Thermometer zeigt 27 Grad Celsius. Wir verladen unsere Ausrüstung in einen alten Bus, der aussieht, als wurde er mehrfach umgebaut. Unterwegs läuft der Motor heiss. So sehr, dass sich Rauch in der Kabine bildet und wir das Gefährt mehrmals kurzzeitig verlassen müssen. Doch irgendwie geht es weiter. Wir nähern uns dem Basecamp, als uns die Schneemassen auf der Passstrasse zum Stoppen zwingen. Wir werden die letzten Kilometer zu Fuss zurücklegen müssen – und unser gesamtes Material ins Camp tragen. Also reduzieren wir noch einmal alles auf das Nötigste. Nach einem dreieinhalbstündigen Marsch – jeder hat etwa 30 Kilogramm Gepäck auf dem Rücken – erreichen wir schliesslich das Hathansu Basecamp. Inmitten von schneefreien, kargen Wiesen liegt es auf 2500 Metern über Meer und wirkt ein wenig verlassen. Wir sind die erste Gruppe des Jahres. Aber unsere Köchin, die wir liebevoll «Mama Elbrus» nennen, steht schon hinter den Töpfen und bereitet das Essen zu. Geschlafen wird in einfachen Baracken. Wir breiten unsere Isomatten auf den Holzpritschen aus und verkriechen uns tief in die warmen Schlafsäcke. Die nächsten Tage nutzen wir zum Akklimatisieren. Wir bringen unser Material in das 3750 Meter hoch gelegene Hochlager Severnyi Prijut und richten uns ein. Ab etwa 3000 Metern können wir mit Skiern aufsteigen. Der Elbrus scheint zum Greifen nahe! Kaum vorstellbar, dass sein Gipfel noch einmal gut 2000 Meter höher liegt. Die Stimmung ist bestens, alle sind gut vorbereitet und gespannt auf die Erlebnisse der nächsten Tage. Viele Gipfel, darunter mehrere 4000er, haben wir zum Training bestiegen. Wir haben Nachtskitouren bei eisiger Kälte und Wind unternommen, um sowohl die Ausrüstung als auch die eigene Verfassung zu testen. Hier steigen wir zur Akklimatisation zu den 4700 Meter hohen Lenz-Felsen auf. Dann, auf dem Rückweg, passiert es: Nadja stürzt! Sie hat starke Schmerzen in der Schulter. Mit einem selbst gebauten Rettungsschlitten bringen wir sie zurück ins Hochlager: Zwei steuern den Schlitten von vorne, zwei bremsen von hinten. So geht es Stück für Stück über den steilen, spaltenreichen Gletscher zurück. Als wir das Lager erreichen, sind wir völlig erschöpft. Über das Satellitentelefon konsultieren wir Ärzte, vermutlich ist die Schulter gebrochen. Nadja wird, mit Schmerzmitteln versorgt, im Camp bleiben. Sie besteht darauf, dass wir ohne sie auf den Gipfel gehen. Am Abend informiert uns Mary, dass sie bei ihr bleiben wird; nach dem Erlebten ist sie unsicher, fühlt sich nicht bereit für den Gipfel. AUF DEM «WEISSEN BERG» Der Rest der Gruppe gönnt sich einen Tag Pause, dann ist es so weit: Um zwei Uhr in der Früh verlassen wir das Hochlager. Als die Sonne mit unvergesslicher Schönheit aufgeht, befinden wir uns auf 4500 Metern. Wir gehen betont langsam, machen viele Pausen und achten darauf, genügend zu trinken. Der Aufstieg bis zum Sattel zwischen den beiden Gipfeln zieht sich. Dort treffen wir auf etliche andere Bergsteiger, die von Süden her aufgestiegen, besser gesagt hochgefahren und dann weitergegangen sind. Akklimatisierung? Fehlanzeige. Viele sind erschöpft und offensichtlich überfordert. Für die 300 Höhenmeter bis zum Westgipfel, der den Ostgipfel um 21 Meter überragt, benötigen wir zwei Stunden. Auf der steilen, aber vergleichsweise einfachen Rampe überholen wir Gruppen aus aller Welt. Auf dem Plateau unterhalb des Gipfels gehe ich eine Weile für mich alleine und geniesse es. Dann erreiche ich den Gipfel, wo schon ein Teil unseres Teams wartet. Wenig später treffen auch die anderen ein, einer nach dem anderen. Der Gipfel ist flach und breit und bietet genügend Platz. Es ist beinahe windstill und mit nur fünf Grad minus auch relativ warm. Die Sicht hin bis zum russischen und georgischen Hochland mit seinen unzähligen Gipfeln ist überwältigend! Fast eine Stunde halten wir uns auf dem «Dach Europas» auf, bevor wir uns an den Abstieg machen. Erst mit Steigeisen, später mit Skiern, die wir beim Aufstieg deponiert hatten, über ruppigen, windbearbeiteten Schnee. Um halb fünf am Nachmittag sind wir zurück im Hochlager – unendlich glücklich und dankbar. Gemeinsam mit Nadja, deren Arm wir ruhig gestellt haben, verlasse ich das Hochlager am nächsten Morgen zu Fuss. Die anderen fahren mit den Skiern ab, solange es der Schnee zulässt. Als wir das Basecamp erreichen, erwartet uns «Mama Elbrus» schon mit einer kräftigen Mahlzeit. Noch trennt uns eine zweitägige Reise über Moskau von der Heimat. Dort warten etliche tolle Berge auf uns. Nichtsdestotrotz wird der Elbrus einen ganz besonderen Platz in meiner Erinnerung einnehmen. INSPIRATION 01 / 2019 49

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