GIPFELTREFFEN CARLA JAGGI lich schlecht geht, darf man einen Tag in der Hütte bleiben. Dann muss man aber wieder parat sein, sonst muss man das Ausbildungsjahr wiederholen. Zum Glück konnte ich mich einigermassen erholen und am nächsten Tag die Gruppe führen. Harte Sitten. So sind die Spielregeln. Ist der körperliche Aspekt der härteste Teil der Ausbildung? Nein, der mentale Druck ist anspruchsvoller. Wir sind jeden Tag im Gelände unterwegs, fünf bis sechs Aspiranten und ein Experte. Man weiss nie, wann man die Führung übernimmt, muss also immer die ganze Tour vorbereiten. Führt man, beobachtet der Experte jeden Schritt und jeden Griff, beurteilt die Route, die man nimmt. An diese ständige Beobachtung und Beurteilung, an diesen ständigen Druck muss man sich erst gewöhnen. Aber er ist nötig, denn die Aufgaben einer Bergführerin sind vielseitig: Die Gäste müssen jederzeit sicher sein, Route und Rhythmus müssen passen. Was den Bergführer vom Bergsteiger unterscheidet: Ich fälle jede Entscheidung alleine, muss mich in den Gast einfühlen können. Denn es kommt oft vor, dass jemand nicht zugibt, dass er sich nicht wohl fühlt oder am Limit ist. Wie kommen Sie mit den vielen Männern zurecht? Bis jetzt hatte ich noch nie Probleme. Wichtig ist, dass man selber nicht schon zum vornherein denkt: Ich muss mich wehren und beweisen, dass ich es kann. Natürlich muss man ab und zu einen Spruch kontern, es gibt auch lustige Situationen: Komme ich mit einem Gast in eine Berghütte, ist es meistens keine Frage, dass er das Bergführerzimmer und ich den Gästeraum zugeteilt bekomme. Die angehende Bergführerin sieht man mir nun mal nicht an ... ... aber bald sind Sie es ja wirklich. Ich hoffe es, ja! (lacht) Ich bin jetzt im dritten Jahr und habe noch die Abschlussprüfungen vor mir. Erst den Winterteil, dann im September noch die Sommerprüfungen. Bis jetzt habe ich alle Prüfungen auf Anhieb bestanden. 60 haben die Ausbildung begonnen, nach dem ersten Jahr waren wir nur noch etwas mehr als 20. Ich bin als einzige Frau meines Jahrgangs übrig geblieben. «Der menschliche Aspekt mit einem Gast ist nicht zu unterschätzen. Man gibt auch Persönliches preis.» gloryfy G14 iceberg Ist es ein Problem, dass Frauen weniger Kraft haben? Es kann eines sein. Darum ist es wichtig, dass ich meine Grenzen kenne und respektiere. Ich fühle mich zum Beispiel nicht wohl, mit zwei 1,80 Meter grossen Gästen in einer steilen Firnflanke am kurzen Seil zu gehen. Das lasse ich sein, weil ich weiss, dass ich sie im Notfall nicht halten kann. Es gibt andere Sicherungstechniken, mit denen ich diese Situationen umgehen kann. Und wenn es nicht anders geht, lehne ich solche Touren auch mal ab. Was können Frauen besser? So allgemein lässt sich das nicht sagen. Vielleicht ist es für uns tendenziell einfacher, sich in Gäste hineinzuversetzen, im richtigen Moment das Richtige zu sagen. Ich persönlich bekomme positive Feedbacks auf meine Art zu führen oder in Ausbildungskursen etwas zu vermitteln. Und nicht dafür, wie gross, stark und schnell ich bin. Gehen Sie privat lieber mit Frauen oder Männern in die Berge? Eher mit Männern. Aber es gibt schon auch ein paar Frauen, mit denen ich sehr gerne unterwegs bin. In der SAC-Jugend war ich lange das einzige Mädchen, kletterte jahrelang nur mit Jungs. Daran habe ich mich gewöhnt. Mit Männern ist die Kommunikation in den Bergen einfacher, direkter, klarer. Bei Frauen muss man öfters zwischen den Zeilen lesen, um zu verstehen, was sie genau wollen. Manche Frauen begeben sich auch nicht so gerne in unkomfortable Situationen, wie zum Beispiel das Verbringen einer Nacht in einem Biwak mit 15 anderen. Das kann mit Männern einfacher sein: Die gehen weniger zögerlich an ein Projekt heran. Männer gehen weniger zögerlich an ein Projekt heran als Frauen. INSPIRATION 02 / 2017 47
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